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Hugo Karl Lindemann (* 9. August 1867 in Jaguarão (Brasilien); † 19. Februar 1949[1] in Bensheim) war ein deutscher Hochschullehrer und sozialdemokratischer Politiker. Er publizierte bis 1901 unter dem Pseudonym C.Hugo.

Hugo Lindemann. Fotografie von Wilhelm Höffert vor 1901
Hugo Lindemann. Fotografie von Wilhelm Höffert vor 1901

Leben


Hugo Lindemann war Sohn des wohlhabenden Emigranten Rudolf Lindemann (1834–1889), der in den 1850er Jahren nach Brasilien ausgewandert und 1872 nach Deutschland zurückgekehrt war.[2] Er besuchte in Ludwigsburg das Lyzeum und anschließend das „Kaiser-Wilhelm-Gymnasium zu Hannover“.[3] In den Jahren 1884 bis 1889 studierte Lindemann in Göttingen, Bonn, München und Kiel Philosophie und klassische Philologie bei Wilhelm Wilmanns, Hermann Usener, Franz Bücheler, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Peter Wilhelm Forchhammer, Friedrich Bechtel, Karl Dilthey, August Fick, Friedrich Blass, Theodor Möbius u. a. Im Jahr 1889 promovierte er zum Dr. phil. in Kiel bei Richard Foerster und Friedrich Vogt.[4] Ab 1897 war er als Fachschriftsteller auf den Gebieten der Kommunal- und Sozialpolitik tätig.[5]

Zwischen 1892 und 1896 erarbeitete er im Britischen Museum gemeinsam mit Carl Stegmann das Handbuch des Socialismus. Dazu wandten sich die Autoren auch an Friedrich Engels und baten um ein persönliches Gespräch mit Engels, der aber sich nicht dazu entschließen konnte der Einladung zu folgen.[6] Gleichzeitig nahm er Kontakt zu Karl Kautsky[7] und Eduard Bernstein[8] auf. Außerdem knüpfte er Kontakte zur „Gesellschaft der Fabier“.[9]

Für die theoretische Zeitschrift der Sozialdemokratie Die Neue Zeit verfasste er zwischen 1893 und 1902 23 Artikel und fünf Rezensionen. Er war langjähriger Mitarbeiter[10] der Sozialistischen Monatshefte (37 Beiträge zwischen 1902 und 1927).

Thematisch spezialisierte Lindemann auf kommunalpolitische Themen. Er war langjähriger Herausgeber des Kommunalen Jahrbuchs (1908 bis 1932), des Handwörterbuchs der Kommunalwissenschaften (1918 bis 1927) sowie der Kölner sozialpolitischen Vierteljahrsschrift (1920 bis 1930). 1916 habilitierte er sich und wurde Dozent für Kommunalwissenschaft an der Technischen Hochschule Stuttgart. Von Oktober 1919 bis September 1933 war Lindemann neben Leopold von Wiese und Theodor Brauer Direktor an dem von Oberbürgermeister Konrad Adenauer maßgeblich initiierten Institut für sozialwissenschaftliche Forschungen und von 1920 bis 1933 auch Honorarprofessor an der Universität Köln.

Seine wissenschaftliche Tätigkeit war eng verknüpft mit seiner politischen Arbeit in der SPD[11] vor allem mit kommunalpolitischen Fragen. So war er zwischen 1900 und 1909 Mitglied im Gemeinderat in Degerloch (bei Stuttgart). Von 1908 bis 1919 war er Mitglied des Bürgerausschusses bzw. Gemeinderat in Stuttgart. An der württembergischen Bauordnung von 1909 hat er als Ausschussreferent maßgebend mitgewirkt.[12]

Außerdem war er von 1903 bis Dezember 1906 Mitglied des Reichstags und vertrat dort den Wahlkreis 10 Württemberg: Gmünd, Göppingen, Welzheim, Schorndorf.[13] Im ersten Wahlgang stimmte ein Teil der Sozialdemokraten für den Kandidaten der Zentrumspartei, damit dieser in die Stichwahl gelangt. Die Taktik ging auf: In der Stichwahl siegte Lindemann mit Unterstützung der Liberalen gegen den Zentrumskandidaten und erhielt 65,13 % der abgegebenen Stimmen.[14] Lindemann hielt nur eine Rede in der Legislaturperiode im Reichstag am 15. Februar 1906.[15]

Von 1906 bis 1918 war er Mitglied der Zweiten Kammer der Württembergischen Landstände sowie 1919 bis 1920 der Verfassunggebenden Landesversammlung von Württemberg.

Auf dem Münchener Parteitag 1902 hielt Lindemann den Bericht über die „Kommunalpolitik“[16] ebenso auf dem Bremer Parteitag 1904.[17] 1907 bewilligte er mit anderen Parteigenossen erstmals einen Landes Etat.[18] Auf dem Parteitag 1905 in Jena versuchte er zusammen mit 80, hauptsächlich süddeutschen Revisionisten, Delegierten das Statut der Partei in Sinne einer föderalistischen Struktur zu verändern. Das Ansinnen scheiterte aber.[19] Lindemann gehörte schon in der Vorkriegszeit zu den rechten Führungskräften innerhalb der SPD. So wurde er zu einem geheimen Vorbereitungstreffen für den Leipziger Parteitag 1909 von Erhard Auer mit Schreiben vom 24. August 1909 an die „Genossen, die parteischädigenden Krakehl verhindern wollen eingeladen.“[20] Außerdem nahm er auch, entgegen sozialdemokratischer Tradition, an einem Parlamentarierbesuch beim König Wilhelm II teil und verteidigte danach seinen Verhalten, weil der König ein konstitutioneller Fürst sei.[21]

Er kandidierte am 12. Mai 1911 gegen die Kandidaten der Deutschen Partei Württemberg Julius Keck und den Kandidaten der Fortschrittlichen Volkspartei Karl Lautenschlager für das Amt des Stuttgarter Oberbürgermeisters. Rosa Luxemburg schrieb dazu am 9. Mai: „Mit der Kandidatur Lindemanns haben die Stuttgarter Genossen der Partei die größte Überraschung bereitet [… und] diese Überraschung [war] keineswegs freudiger Natur. […] Doch die näheren Umstände jener Stuttgarter Versammlung vom 4. Mai bringen noch weitere Überraschungen. Auf die Erklärung des Genossen Dr. Lindemann hin, daß nach seiner genauen Prüfung der Organisationsbeschlüsse mit ihnen die Ausübung des Oberbürgermeisteramts unmöglich sei, da er volle Freiheit in der Ausübung der Repräsentationspflichten, namentlich auch in dem amtlichen Verkehr mit der Krone brauche, wurde ihm von der Versammlung die Freiheit ausdrücklich zugestanden, die Organisationsbeschlüsse der Partei mit Füßen zu treten.“[22] Keck erhielt 3.366 Stimmen, Lindemann 12.278 Stimmen und lag damit nur knapp hinter Karl Lautenschlager, der auf 13.154 Stimmen kam.[23] Diese Kandidatur war die einzige eines Sozialdemokraten bis 1919 zu dem Amt eines Oberbürgermeisters im Deutschen Kaiserreich.

August 1911 nahmen er und die sozialdemokratischen Abgeordneten Franz Feuerstein und Karl Hildenbrand an einem parlamentarischen Empfang des württembergischen Ministerpräsidenten Karl von Weizsäcker teil. Eine Versammlung Stuttgarter Parteigenossen verurteilten dies in einer Resolution.[24] Johann Heinrich Wilhelm Dietz war darüber so verärgert, dass als Vorsitzender der württembergischen Landesparteiorganisation als Versammlungsleiter zurücktrat.[25] Auf dem Parteitag 1911 brachte Lindemann einen Antrag ein, nach dem der Erwerb von Kolonien durchaus im Interesse der deutschen Arbeiterschaft sein könne, weil andere Kolonialmächte den „Spielraum der deutschen Volkswirtschaft unerträglich“ einengen „würden“.[26]

Noch vor der Novemberrevolution wurde Lindemann Minister für wirtschaftliche Demobilisierung im Kabinett Liesching[27] und dann Arbeitsminister in Württemberg.[28] Vom 10. Januar bis zum 1. November 1919 war er dort Innenminister.[29] Von 1918 bis 1933 wirkte er als Vorstandsmitglied des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge.[30] Zwischen 1928 und 1933 war er Stadtverordneter in Köln.

Im April 1933 wurde Lindemann aus politischen Gründen beurlaubt und am 11. September 1933 seine Lehrbefugnis entzogen. Als rechtliche Grundlage dafür diente das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Seit 1933 führte Lindemann in Bensheim a. d. Bergstraße ein stilles Gelehrtendasein, wie das Munzinger-Archiv vermeldet. Franz Osterroth berichtet von einem Brief Lindemanns an Wilhelm Keil aus dem Jahr 1942 in dem er sich die Frage stellte „wie man die Menschen wieder eine höhere Moral lehren könne, nachdem sie so lange zu Bestien gedrillt worden seien“.[31] 1946 ehrte ihn die juristische Kölner Fakultät mit dem Dr. jur. h.c.[32] Lindemann verunglückte auf einer Dienstreise am 19. Februar 1949. Auf dem Hamburger Parteitag im Mai 1950 ehrte ihn die SPD.[33]

Er war seit 1896 mit Anna Marie Rosalie Sara, geb. Fehn (1866–1941) verheiratet, die in der Kölner Frauenbewegung aktiv war. Aus der Ehe gingen zwei Töchter hervor.[34]


Werke


Artikel online

Literatur





Einzelnachweise


  1. Fälschlicherweise laut Landtag Baden–Württemberg und BIORAB ist er am 19. Februar 1950 (sic!) gestorben. Dagegen: „Auf einer Dienstreise tödlich verunglückt. Prof. Hugo Lindemann, Bensheim. Geboren 9. August 1867, gestorben am 19. Februar 1949.“ (Jahrbuch der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. 1946, 1947, 1948/49. J. H. W. Dietz Nachf. 1975, S. 247.)
  2. Ansbert Baumann, S. 127.
  3. Datenbank der Reichstagsabgeordneten.
  4. Vita in De dialecto Ionica recentiore, S. 97.
  5. Eckhard Hansen, Florian Tennstedt (Hrsg.), S. 117.
  6. Engels an Hugo Lindemann und Carl Stegmann 8. Oktober 1892. (Marx-Engels-Werke Band 38, S. 486.) Lindemann und Stegmann an Engels 2. Oktober 1892 IISG Marx-Engels papers K 1067.
  7. Friedrich Engels' Briefwechsel mit Karl Kautsky. Zweite, durch die Briefe Karl Kautskys vervollständigte Ausgabe von „Aus der Frühzeit des Marxismus“. Danubia-Verlag, Wien 1955, S. 436 und S. 439.
  8. Till Schelz-Brandenburg (Hrsg.): Eduard Bernsteins Briefwechsel mit Karl Kautsky, 1891–1895. Campus, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-593-39643-9, S. 279. Digitalisat
  9. Walther Herrmann: Lindemann, Hugo.
  10. Dieter Fricke, S. 465.
  11. Sein Eintrittsjahr ist in der Literatur nicht erwähnt.
  12. Munzinger-Archiv.
  13. Bei der Reichstagswahl 1898 hatte der Kandidat Theodor Kettner von der liberalen württembergischen Volkspartei diesen Wahlkreis inne.
  14. Carl-Wilhelm Reibel: Handbuch der Reichstagswahlen 1890–1918. Bündnisse, Ergebnisse, Kandidaten (= Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Band 15). Halbband 2, Droste, Düsseldorf 2007, ISBN 978-3-7700-5284-4, S. 1236–1239.
  15. Dr. Lindemann, Abgeordneter für den 10. württembergischen Wahlkreis. Arbeitslosenversicherung. Reichshaushaltsetat für das Rechnungsjahr 1906, — zweite Beratung, Reichsamt des Innern, Statistisches Amt: Bd. II, 44. Sitz. S. 1301D.
  16. Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu München vom 14. bis 20. September 1902. Hamburg 1902; Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik. Teil 1. Von den Anfängen bis 1917. Dietz Verlag, Berlin 1965, S. 207.
  17. Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Bremen vom 18. bis 24. September 1904. Hamburg 1904; Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik. Teil 1. Von den Anfängen bis 1917. Dietz Verlag, Berlin 1965, S. 215.
  18. Franz Osterroth, S. 199.
  19. Dieter Fricke, S. 207; Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten zu Jena vom 17. September bis 23. September 1905. Berlin 1905, S. 132 f.
  20. Internationales Institut für Sozialgeschichte Georg von Vollmar papers, Amsterdam Sig. 130. Zitiert nach Dieter Fricke, S. 805.
  21. Franz Osterroth, ebenda.
  22. Rosa Luxemburg: Gefährliche Neuerungen.
  23. Annegret Kotzurek, Rainer Redies: Stuttgart von Tag zu Tag. Die Königszeit 1806–1918, Ostfildern 2006, S. 218.
  24. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik. Teil 1. Von den Anfängen bis 1917. Dietz Verlag, Berlin 1965, S. 265.
  25. Angela Graf: J. H. W. Dietz. 1843–1922. Verleger der Sozialdemokratie. J. H. W. Nachfolger, Bonn 1998. ISBN 3-8012-4089-4, S. 259.
  26. Angela Graf, S. 261. Sie zitiert dort „Deutscher Volks-Korrespondent“ vom 8. September 1911.
  27. Paul Sauer: Württembergs letzter König : das Leben Wilhelms II. Deutsche Verlag-anstalt, Stuttgart 1994, S. 288.
  28. Unter Wilhelm Blos im Kabinett Blos I
  29. Unter Wilhelm Blos im Kabinett Blos II
  30. Eckhard Hansen, Florian Tennstedt (Hrsg.), S. 118.
  31. Franz Osterroth, S. 199.
  32. Frank Golczewski: Kölner Universitätslehrer und der Nationalsozialismus. Personengeschichtliche Ansätze. Böhlau, Köln 1988, S. 446.
  33. Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Phönix-Verlag, Hamburg 1950, S. 13.
  34. Eckhard Hansen, Florian Tennstedt (Hrsg.), S. 117.
  35. Dissertation.
  36. Rezension K. K.(i.e. Karl Kautsky): Handbuch des Sozialismus. Von Dr. C. Stegemann und Dr. C. Hugo. Zürich, Schabelitz. Erscheint in 7 bis 8 Lieferungen à 80 Pfg. Lieferung 1 und 2. In: Die Neue Zeit. Revue des geistigen und öffentlichen Lebens. 12.1893–94, 1. Band. 1894, Heft 19, S. 605. Digitalisat
  37. Rezension von Paul Hirsch in: Die Neue Zeit. 22.1903–1904, 2. Band (1904), Heft 35, S. 282–284. Digitalisat
  38. Rezension: Adolf Braun: Paul Hirsch und Hugo Lindemann, Das kommunale Wahlrecht. 48 S. kl. 8. Hugo Lindemann, Kommunale Arbeiterpolitik. 64 S. kl. 8. (Sozialdemokratische Gemeindepolitik, Kommunalpolitische Abhandlungen, herausgegeben unter Leitung von Paul Hirsch, Heft I und II.) Berlin 1905, Buchhandlung Vorwärts. In: Die Neue Zeit 24.1905–1906, 1. Band (1906), Heft 10, S. 340–341 Digitalisat
  39. Rezension von Emanuel Wurm in Die Neue Zeit. 27.1908–1909, 2. Band (1909), Heft 30, S. 126. Digitalisat
  40. Zentraleinkaufsgesellschaft.
Personendaten
NAME Lindemann, Hugo
ALTERNATIVNAMEN Lindemann, Hugo Karl (vollständiger Name); Hugo, C. (Pseudonym)
KURZBESCHREIBUNG deutscher Hochschullehrer und Politiker (SPD), MdR
GEBURTSDATUM 9. August 1867
GEBURTSORT Jaguarão, Brasilien
STERBEDATUM 19. Februar 1949
STERBEORT Bensheim



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