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Oskar Ernst Bandle (* 11. Januar 1926 in Frauenfeld; † 17. Januar 2009 ebenda) war ein Schweizer Nordist und Onomastiker, der die skandinavischen Sprachen und Literaturen in ihrer ganzen Breite lehrte und erforschte. Er galt als einer der führenden Vertreter seines Faches im deutschsprachigen Raum.

Oskar Bandle(Photo: Inga-Lill Nissas, ca. 1985).
Oskar Bandle
(Photo: Inga-Lill Nissas, ca. 1985).

Leben


Bandle kam im Hauptort des Kantons Thurgau als Sohn eines Kaufmanns und einer Primarlehrerin zur Welt. Nach dem Abschluss der Frauenfelder Kantonsschule studierte er ab 1944 Germanistik und Anglistik an der Universität Zürich und belegte Kurse in Schwedisch und Isländisch. Einen Auslandaufenthalt führte ihn an das University College in London, darauf arbeitete er 1948/49 in Reykjavík an Alexander Jóhannessons Isländischem etymologischen Wörterbuch mit und setzte seine Studien ab 1949 an den Universitäten Kopenhagen und Uppsala fort.

Nach Zürich zurückgekehrt, promovierte er 1954 bei Rudolf Hotzenköcherle und Eugen Dieth mit einer Arbeit über die Sprache der ältesten isländischen Bibelübersetzung, der Guðbrandsbiblía von 1584 (Dissertation gedruckt 1956). Von 1958 bis 1962 arbeitete er als Redaktor am Schweizerischen Idiotikon (Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache) in Zürich. 1961 wurde er Lektor an der Universität Freiburg im Breisgau. In diese Zeit fielen mehrere Studienaufenthalte in Norwegen, auf den Färöern und auf Island, während derer er das Material für seine Habilitationsschrift über die westnordische Haustier­terminologie zusammentrug; sie erschien 1965 in zwei Bänden.

Noch im gleichen Jahr wurde Bandle an die noch junge Universität des Saarlandes in Saarbrücken berufen, wo er als Ordinarius für Germanische Philologie unter besonderer Berücksichtigung der Nordistik lehrte. Von 1968 bis zu seiner Emeritierung 1993 wirkte er als Ordinarius auf der neugeschaffenen Koordinationsprofessur für Nordische Philologie in Zürich und Basel.

Sein wissenschaftlicher Nachlass befindet sich im UZH Archiv.[1]


Schaffen


Thema von Bandles Forschungen waren Sprachgeschichte, Dialektologie, Ortsnamenkunde sowie ältere und jüngere Literaturwissenschaft (insbesondere Literaturgeschichte) des Dänischen, Schwedischen, Norwegischen, Färöischen und Isländischen. Gemeinsamer Nenner all dieses Schaffens war eine kulturgeschichtliche Herangehensweise und ein Denken in den übergeordneten Zusammenhängen. Die germanischen Idiome Nordeuropas sprach Bandle alle fliessend. Der Schweizer genoss in Skandinavien grosses Ansehen und wurde als einer der führenden Nordisten aus dem deutschsprachigen Raum anerkannt.


Sprachwissenschaft


Die 1584 gedruckte Guðbrandsbiblía
Die 1584 gedruckte Guðbrandsbiblía

Bandles Ruhm gründet in drei sprachwissenschaftlichen Arbeiten. Seine fast fünfhundertseitige Dissertation über die Guðbrandsbiblía (1956), eine umfassende Grammatik der Sprache dieser Bibelübersetzung, wurde zum Standardwerk über die isländische Sprachgeschichte des 16. Jahrhunderts. Seine zweibändige Habilitationsschrift betreffend die westnordische Haustierterminologie (1965) war die erste grosse, überdies durch eine dialektgeographische Analyse ergänzte wortgeographische Arbeit Skandinaviens (Deutschland, Frankreich, Italien und die Schweiz waren vorausgegangen[2]) und dient heute nicht zuletzt als unentbehrliche Quelle für das Norsk Ordbok. Das dritte bedeutende Werk, das die Herausbildung und Gliederung der fünf nordgermanischen Sprachen thematisiert (1973), stellt eine souveräne Synthese gesamtskandinavischer Sprachgeschichte dar, in die Bandles vielfältige linguistische Detailuntersuchungen eingingen. Gegen Ende seines Lebens wirkte Bandle als Hauptherausgeber des zweibändigen voluminösen Handbuchs The Nordic Languages (2002 und 2005), der bis dahin umfangreichsten vergleichenden Geschichte der nordgermanischen Sprachen.

Für das Schweizerische Idiotikon verfasste er unter anderem den grossen Artikel Ding mit seiner komplexen Bedeutungsgeschichte von ‘Versammlung’ (vgl. Thing und Alþingi) bis hin zur semantisch verblassten Anwendung als ‘Gegenstand überhaupt’ (gedruckt 1963).[3]


Literaturwissenschaft


In drei frühen Aufsätzen über die Entstehung der Isländersagas (1965, 1969, 1972) sprach sich Bandle gegen die damals herrschende Theorie über Autorschaft und Entstehung aus und stellte die Bedeutung des mündlichen Erzählens in den Vordergrund. In den späten 1980er Jahren griff er die Thematik im Kontext der neuen Mündlichkeits-/Schriftlichkeitsforschung erneut auf, diesmal anhand der Vorzeitsagas (Fornaldarsögur), die er «zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit» verortete.

Den neueren Literaturen widmete sich Bandle ab 1976, wobei Rezeptionsgeschichte und Literaturgeschichte als Kulturgeschichte im Zentrum standen. Epochenmässige Schwerpunkte bildeten die Romantik und Spätromantik (Oehlenschläger, Winther, Jónas Hallgrímsson), die nordischen Klassiker des Modernen Durchbruchs (Ibsen, Strindberg, Hamsun) und die neuromantischen schwedischen Lyriker der 1890er Jahre. 1988 richtete Bandle in Zürich und Basel die 17. Studienkonferenz der Internationalen Assoziation für Skandinavische Studien zum Thema «Nordische Romantik» aus.

Bleibende Verdienste erwarb sich Bandle mit seinen Aufsätzen zur Periodisierung der skandinavischen Literaturgeschichte und ganz besonders seiner Beschäftigung mit der Literatur der Färöer-Inseln, die ausserhalb Skandinaviens so gut wie unbekannt war. Sein grosser Aufsatz Moderne färöische Literatur. Versuch einer Standortbestimmung (1982, überarbeitet 1985) ist die erste literaturhistorische Darstellung der färöischen Literatur überhaupt.


Namenkunde


Für die Onomastik war Bandle schon während seiner Zürcher Studienzeit tätig, als er auf Vorschlag von Eugen Dieth zu Handen der Eidgenössischen Landestopographie die Flurnamen des Kantons Thurgau erhob; bald schon folgten erste Aufsätze über die thurgauischen Ortsnamen. Jahrzehnte später, nach seiner Emeritierung, verfasste Bandle für das Handbuch Namenforschung (1996) sowie das Reallexikon der germanischen Altertumskunde (1994–2007) zahlreiche thematische Übersichtsartikel zur deutschen und besonders skandinavischen Namenlandschaft. Zuletzt wirkte er noch bei der Herausgabe der ersten zwei Bände des Thurgauer Namenbuchs mit (beide 2003). Auch im Bereich der Namenkunde ging es Bandle um die grossen Zusammenhänge, was Titel wie Die Naturlandschaft im Licht der Flur- und Ortsnamen (1953), Zur Schichtung der thurgauischen Ortsnamen (1963), Skandinavische Ortsnamen unter kulturräumlichem Aspekt oder Geschichtliche Entwicklung der Flurnamen: skandinavisch (letztere beide 1996) deutlich machen.


Weiteres Wirken


Der Aufbau der nordistischen Abteilungen an den Universitäten Zürich und Basel ist weitgehend Bandles Werk, und beträchtliche Teile der beiden Bibliotheksbestände finanzierte er privat. Er war 1961 Mitgründer und langjähriger Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Skandinavische Studien, die unter dem Dach der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften die Aussenwirkung des Faches verstärken sollte, und 1973 begründete er die Reihe Beiträge zur nordischen Philologie.

Bandles umfassende Gelehrsamkeit wurde auf menschlicher Ebene durch seine Freundlichkeit, Grosszügigkeit und Unterhaltsamkeit sowie ein genuines Interesse an seinen Studierenden ergänzt. Geradezu legendär waren die Feste in der Nordistischen Abteilung, die er für die Studenten und Mitarbeiter ausrichtete – skandinavische Landeskunde sollte nicht nur akademisch vermittelt, sondern auch sinnlich erlebbar gemacht werden.[4]

Die 2010 beurkundete und 2012 in das Handelsregister eingetragene Stiftung Oskar Bandle mit Sitz in Zürich hat den Zweck, «dass Nordistikstudenten und -studentinnen jeder Nationalität, die an der Universität Zürich immatrikuliert sind, gefördert und weitergebildet werden. Der Stiftungsrat kann im gleichen Sinne des Stiftungszweckes auch Studenten der Universität Basel begünstigen.»[5]


Ehrungen


Bandle erhielt von den Universitäten von Uppsala und Reykjavík 1981 beziehungsweise 1987 den Ehrendoktor. Er war ordentliches Mitglied in der Kungliga Gustav Adolfs Akademien för svensk folkkultur in Uppsala, der Kungliga Vitterhets Historie och Antikvitets Akademien in Stockholm und der Norske Videnskaps-Akademi in Oslo sowie korrespondierendes Mitglied des Kungliga Skytteanska Samfundet.

1977 erhielt er das Ritterkreuz des isländischen Falkenordens.[6] Im gleichen Jahr wurde er zum Ritter erster Klasse des schwedischen Nordstjärne-Ordens,[7] 1978 zum Ritter des dänischen Dannebrog-Ordens[8] und schliesslich 1981 zum Ritter erster Klasse des norwegischen St.-Olav-Ordens[9] ernannt. 1979 überreichte ihm die Universität Helsinki die Ehrenmedaille, und 1999 bekam er den Nils Ahnlund-Preis der Gustav-Adolfs-Akademie verliehen.

Zu seinem 60. Geburtstag erhielt Bandle eine Festschrift (hrsg. von Hans-Peter Naumann, Basel/Frankfurt a. M. 1986), und zu seinem 75. Geburtstag wurde eine Auswahl aus seinen Aufsätzen zur Sprach-, Literatur- und Kulturgeschichte in einem umfangreichen Sammelband neu aufgelegt (hrsg. von Jürg Glauser und Hans-Peter Naumann, Tübingen/Basel 2001).


Publikationen (Auswahl)


Sprachgeschichte und Dialektologie
Ältere und jüngere Literatur
Onomastik
Sammelband und Schriftenverzeichnis
Herausgeberschaft

Literatur


Nachrufe




Nachweise


  1. Nachlass Oskar Bandle in Kalliope.
  2. Deutscher Wortatlas, Atlas linguistic de la France, Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz und Sprachatlas der deutschen Schweiz.
  3. Schweizerisches Idiotikon, Band XIII, Spalten 470–507, Artikel Ding.
  4. Angelika Linke: Biographische Würdigung. In: Zum Gedenken an Oskar Bandle. Drei Reden anlässlich der akademischen Trauerfeier zu Ehren von Prof. Dr. Dr. h. c. h. c. Oskar Bandle im Senatszimmer der Universität Zürich am Samstag, den 18. April 2009. Zürich 2010, S. 12.
  5. Stiftung Oskar Bandle, abgerufen am 2. Juli 2015.
  6. Datenbankabfrage auf der Website des isländischen Präsidenten, abgerufen am 6. Juli 2020.
  7. Auskunft des schwedischen Ordenskapitels vom 22. August 2015.
  8. Auskunft des dänischen Ordenskapitels vom 1. Juli 2015.
  9. Auskunft des Königlich norwegischen Hofes vom 16. Dezember 2015.
Personendaten
NAME Bandle, Oskar
ALTERNATIVNAMEN Bandle, Oskar Ernst (vollständiger Name)
KURZBESCHREIBUNG Schweizer Skandinavist und Onomastiker
GEBURTSDATUM 11. Januar 1926
GEBURTSORT Frauenfeld
STERBEDATUM 17. Januar 2009
STERBEORT Frauenfeld



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