Thomas Brasch (* 19. Februar 1945 in Westow, North Yorkshire; † 3. November 2001 in Berlin[1]) war ein deutscher Schriftsteller, Dramatiker, Drehbuchautor, Regisseur und Lyriker.
Leben
Brasch wurde als Sohn jüdischer Emigranten im englischen Exil geboren. 1947 siedelte die Familie in die sowjetische Besatzungszone über. Hier begann die politische Karriere des Vaters Horst Brasch (1922–1989), die ihn bis ins Amt des stellvertretenden Ministers für Kultur der DDR beförderte. Thomas Braschs Mutter Gerda Brasch (1921–1975) geborene Wenger[2] stammte aus Österreich. Sie war Journalistin und veröffentlichte Mitte der 1950er Jahre in einer Cottbuser Lokalzeitung das erste Gedicht ihres Sohnes. Brasch hatte eine Schwester, Marion Brasch (* 1961), sowie zwei Brüder, Klaus Brasch (1950–1980) und Peter Brasch (1955–2001).
Thomas Brasch besuchte von 1956 bis 1960 die Kadettenschule der Nationalen Volksarmee in Naumburg (Saale). Nach dem Abitur arbeitete er als Schlosser, Meliorationsarbeiter und Schriftsetzer. 1964/65 studierte er Journalistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Wegen „Verunglimpfung führender Persönlichkeiten der DDR“ wurde er exmatrikuliert und arbeitete anschließend unter anderem als Kellner und Straßenbauarbeiter.
Widerstand gegen DDR-Zensur
1966 wurde die Inszenierung seines Vietnamprogramms Seht auf dieses Land an der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz verboten. 1967 bis 1968 absolvierte Brasch ein Studium für Dramaturgie an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg. Im März 1968 kam der gemeinsame Sohn mit Liedermacherin Bettina Wegner, Benjamin, zur Welt.[3] Wegen der Verteilung von Flugblättern gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die ČSSR im August 1968 musste er sich gemeinsam mit Frank Havemann, Florian Havemann, Rosita Hunzinger, Sanda Weigl, Erika-Dorothea Berthold und Hans-Jürgen Uszkoreit vor Gericht verantworten. Er wurde zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt und nach 77 Tagen[3] auf Bewährung entlassen. Danach wurde Brasch zur Bewährung als Fräser im Berliner Transformatorenwerk „K. Liebknecht“ in Berlin-Oberschöneweide (TRO) beschäftigt.[4]
Auf Vermittlung von Helene Weigel arbeitete er 1971/1972 im Brecht-Archiv, wo er an einer Arbeit saß, die die Strukturelemente des Westerns mit denen des russischen Revolutionsfilms verglich. Seitdem lebte er als freier Schriftsteller. Mehrere Dramen, die zwischen 1970 und 1976 entstanden, wurden wegen ihrer Thematik und ihrer häufig experimentellen Form nicht aufgeführt oder nach kurzer Zeit abgesetzt, so z.B. die gemeinsam mit Lothar Trolle verfassten Lehrstücke Das beispielhafte Leben und der Tod des Peter Göring und Galileo Galilei – Papst Urban VIII.
Wechsel in den Westen
1976 war Brasch Mitunterzeichner der Resolution gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Nachdem die Publikation von Prosatexten durch staatliche Stellen verweigert worden war, stellte er einen Ausreiseantrag und übersiedelte gemeinsam mit seiner damaligen Freundin Katharina Thalbach und deren Tochter Anna Thalbach nach West-Berlin. Sein noch in der DDR entstandener und kurze Zeit später beim Verlag Rotbuch erschienener Prosaband Vor den Vätern sterben die Söhne wurde ein großer Erfolg und brachte ihm nachhaltige Anerkennung bei den Kritikern.
1976 hatte die damalige inoffizielle Mitarbeiterin (IM) Anetta Kahane in einem Bericht für die DDR-Staatssicherheit die Brüder Thomas und Klaus Brasch als „Feinde der DDR“ bezeichnet.[5]
1978 erhielt Brasch den Ernst-Reuter-Preis und 1979 ein Villa-Massimo-Stipendium. Er wurde 1982 Mitglied des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik Deutschland und wurde für den Film Engel aus Eisen mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet.
1983 lebte er für ein Jahr in Zürich. Für seinen Film Domino erhielt er in diesem Jahr auf dem Filmfestival von Locarno den Occhio del Pardo d’argento.[6] Sein Hörspiel Robert, ich, Fastnacht und die anderen wurde mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet. Ab 1986 übersetzte er mehrere Theaterstücke William Shakespeares ins Deutsche.
1992 erhielt er den Kritikerpreis der Berliner Zeitung. 1987 führte er in Der Passagier zum letzten Mal Regie in einem Kinofilm; Brasch konnte US-Weltstar Tony Curtis für die Hauptrolle gewinnen.
Nach dem Fall der Mauer
Nachdem Brasch seit dem Fall der Berliner Mauer für viele Jahre verstummt war und sich Gerüchte über Alkohol- und Drogenmissbrauch gemehrt hatten, überraschte er im Jahr 1999 mit seinem neuen Prosaband Mädchenmörder Brunke,[7] der aus einem Manuskript von ursprünglich mehr als 10000 Seiten entstand. Im selben Jahr kam es zur Uraufführung der Dramen Stiefel muß sterben und Die Trachinierinnen des Sophokles oder Macht Liebe Tod, im Jahr 2000 folgte Frauenkrieg. Drei Übermalungen. Sein letztes Stück, Eine Märchenkomödie aus Berlin, blieb unvollendet.
Thomas Brasch starb am 3. November 2001 im Alter von 56 Jahren in der Berliner Charité an Herz- und Lungenversagen; als Grund wird eine langjährige Alkohol- und Drogensucht angegeben.[8][9] Sein Grab befindet sich auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte.
Der literarische Nachlass wird im Thomas-Brasch-Archiv der Akademie der Künste Berlin verwahrt.
Werke
Literatur
Sie geht, sie geht nicht. Theaterstück, 1970
Das beispielhafte Leben und der Tod des Peter Göring. Theaterstück, gemeinsam mit Lothar Trolle, 1971
Galileo Galilei – Papst Urban VIII. Theaterstück, gemeinsam mit Lothar Trolle, 1972
Vom dicken Herrn Bell, der das Telefon erfunden hat. Hörspiel, Berlin 1974
Herr Geiler. Theaterstück, 1974
Der Schweinehirt. Die wilden Schwäne. zwei Hörspiele nach Hans Christian Andersen, Berlin 1975
Lovely Rita. Theaterstück, 1975
Poesiealbum 89. Berlin 1975
Die argentinische Nacht. Komödie nach Osvaldo Dragún, Berlin 1975
Vor den Vätern sterben die Söhne. Prosa, Berlin 1977
Kargo. 32. Versuch auf einem untergehenden Schiff aus der eigenen Haut zu fahren. Frankfurt (Main) 1977
Rotter. Und weiter. Ein Tagebuch, ein Stück, eine Aufführung. Frankfurt (Main) 1978
Paper Tiger. Musical theater piece. Musik: Raymond Benson. Austin, TX (USA) 1976; New York, NY (USA) 1980
Der schöne 27. September. Gedichte, Frankfurt (Main) 1980
Lieber Georg. Ein Eis-Kunst-Läufer-Drama aus dem Vorkrieg. Intendanz: Claus Peymann. Darsteller: Georg Heym: Manfred Karge. Bochum Schauspielhaus, Bochum 1980[10]
Engel aus Eisen. Buch zum gleichnamigen Film, Frankfurt (Main) 1981
Der König vor dem Fotoapparat. Kinderbuch, Olten 1981
Domino. Buch zum gleichnamigen Film, Frankfurt (Main) 1982
Mercedes. Theaterstück, UA Zürich 1983
Anton Tschechows Stücke. in der Übersetzung von Thomas Brasch, Frankfurt (Main) 1985
Lovely Rita, Lieber Georg, Mercedes. Theaterstücke, Berlin 1988
Liebe Macht Tod. Stücke und Materialien, Frankfurt (Main) 2002
Shakespeare-Übersetzungen. Frankfurt (Main) 2002
Wer durch mein Leben will, muß durch mein Zimmer. Gedichte, Frankfurt (Main) 2002
Was ich mir wünsche. Gedichte, Frankfurt (Main) 2007
Du einsamer, du schöner Wicht. Hörbuch, Katharina Thalbach und Anna Thalbach lesen Thomas Brasch, Hoffmann&Campe 2007
Mädchenmörder Brunke. Hörspiel. Regie: Martin Engler, Bearbeitung: Matthias Baxmann, Sprecher: Sylvester Groth, Astrid Meyerfeldt, Linda Olsansky, 53 min, Deutschlandradio Kultur 2008.
Ich merke mich nur im Chaos. Interviews 1976–2001, Frankfurt (Main) 2009
Die nennen das Schrei. Gesammelte Gedichte (herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Martina Hanf und Kristin Schulz). Suhrkamp, Berlin, 2013, ISBN 978-3-518-42345-5.
Heute wird sich alles ändern. Drei Erfindergeschichten (illustriert von Matthias Mücke). Edition Mueckenschwarm, 2020, ISBN 978-3-00-064894-6.
Filme
1981: Engel aus Eisen (schwarz-weiß) – Regie und Drehbuch. Braschs erster Film, für den er 1981 den Bayerischen Filmpreis erhielt. Seine Dankesrede im Cuvilliéstheater München in Gegenwart von Franz Josef Strauß führte zum Eklat, als Brasch sich ausdrücklich bei der Filmhochschule der DDR für seine Ausbildung bedankte.[11]
Lessing-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg 1977: Stipendium für jüngere Künstler, mit 5.000 DM dotiert.[12]
Bayerischer Filmpreis 1981: Regiepreis (Erstlingsregie), mit 50.000 DM dotiert.[13]
Werke über Thomas Brasch
Literatur
Hans-Michael Bock: Thomas Brasch – Regisseur, Autor. In: CineGraph – Lexikon zum deutschsprachigen Film, Lieferung 14, 1989.
Marion Brasch: Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3-10-004420-4.
Martina Hanf, Kristin Schulz: Thomas Brasch. Das blanke Wesen. Verlag Theater der Zeit, 2004, ISBN 978-3-934344-36-5
Andreas Kölling:Brasch, Thomas. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band1. Ch.Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4.
Claus Löser: Triptychon des Scheiterns. Die Spielfilme des Thomas Brasch. In: apropos: Film 2005 – Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung, Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2005, S. 60–75, ISBN 3-86505-165-0.
Klaus Pohl: Die Kinder der preußischen Wüste. Arche Literatur Verlag AG, Zürich-Hamburg, 2011, ISBN 978-3-7160-2656-4
Jens Ponath: Spiel und Dramaturgie in Thomas Braschs Werk Epistemata. ISBN 978-3-8260-1596-0
Text+Kritik, Zeitschrift für Literatur, Heft 194 Thomas Brasch. 2012, ISBN 978-3-86916-168-6
Insa Wilke: Ist das ein Leben. Der Dichter Thomas Brasch. Verlag Matthes & Seitz Berlin, 2010, ISBN 978-3-88221-540-3
Karsten Witte: Der Passagier – Das Passagere. Gedanken über Filmarbeit. Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-927269-15-8
Filme
1977: Annäherung an Thomas Brasch, Regie Georg Stefan Troller
1978: DDR-Künstler: Thomas Brasch, Regie Ebbo Demant
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