Émile Benveniste [bɛ̃venist] (* 27. Mai 1902 in Aleppo, Syrien; † 3. Oktober 1976 in Paris) war ein französischer Sprachwissenschaftler. Bekannt wurde er unter anderem durch sein Konzept der Delokution.[1]
Émile Benveniste wurde im syrischen Aleppo in eine sefardisch-jüdische Familie geboren. Auf Wunsch seines Vaters ging er nach Marseille, um für das Rabbinat zu studieren. Sylvain Lévi erkannte jedoch seine außergewöhnlichen Fähigkeiten und machte ihn mit Antoine Meillet bekannt.
Als Schüler von Antoine Meillet unterrichtete er ab 1927 an der École pratique des hautes études. In die 1930er Jahre fällt der Beginn seiner Zusammenarbeit mit Jerzy Kuryłowicz. 1937 erhielt er am Collège de France den Lehrstuhl für Allgemeine Linguistik und Vergleichende Grammatik. 1959 wurde er Mitglied der Polnischen Akademie der Wissenschaften und 1960 der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres.
Benenistes Arbeitsgebiete waren die Erforschung der indogermanischen Sprachen, besonders die Iranistik, sowie die Allgemeine Linguistik. Er stand in der Tradition der französischen Sprachwissenschaft Antoine Meillets, die sich insbesondere auf Ferdinand de Saussure beruft. Eine Sammlung mit Benvenistes wichtigsten Aufsätzen zur allgemeinen Sprachwissenschaft trägt den Titel Problèmes de linguistique générale (Deutsch: Probleme der Allgemeinen Sprachwissenschaft).
In seinen Problemen entwickelt Benveniste Korrekturen an der Zeichentheorie Ferdinand de Saussures. Im Gegensatz zu Saussure hält Benveniste die Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat und zwischen Signifikat und Referent eines sprachlichen Zeichens nicht für arbiträr, sondern für regelbestimmt. Signifikant und Signifikat hätten durchaus ein beiden gemeinsames Drittes, nämlich insofern beide Repräsentationen im menschlichen Verstand sind. Dort sind sie "konsubstantiell", aus psychischer Notwendigkeit einander verähnelt. Folge man Saussure und postuliere, dass das Signifikat ein Konzept (etwa 'die Kuh') und der Signifikant das phonetische Muster ("k-u") repräsentiere, dann stelle sich die Frage nach der Arbitrarität gar nicht, da innerhalb des menschlichen Geistes beide Elemente nur jeweils eine Seite derselben Medaille beschrieben und daher notwendig verknüpft seien. Benvenistes Saussure-Interpretation wird in der neueren Literatur als verfehlt zurückgewiesen.[2]
Personalpronomina der 1. und 2. Person besitzen nur im Kontext einer einzelnen Äußerung einen tatsächlichen Referenten (sie sind "äußerungskontingent"). Dennoch haben sie in einem Sprachsystem auch Allgemeinheit: sie markieren Merkmale wie Subjektivität und Personalität; darin sind sie vor allen anderen sprachlichen Zeichen herausgestellt. Die Quelle der Subjektivität in der Sprache ist nach Meinung Benvenistes die Struktur der Pronomen insgesamt, die innerhalb des Lexikons über keine bestimmte Bedeutung verfügten, sondern nur in äußerungsabhängigen Kontexten. Die Pronomen der ersten und zweiten Person sind dabei in ihrer Funktionsweise wesentlich von denen der dritten Person verschieden: die ersteren nennt Benveniste deiktisch, die letzteren anaphorisch.
Deiktische Merkmale kennzeichnen nach Benveniste einen 'subjektiven' Sprachmodus, den persönlich gefärbten discours, gegenüber der 'objektiven' histoire. Die histoire erreicht diese Objektivierung, indem sie den Äußerungsinhalt (énoncé) vom Äußerungsakt (énonciation), also der personalisierbaren und deiktisch kontextualisierbaren Dimension einer Äußerung abstrahiert. Benveniste plädiert dafür, die Sprache nicht bloß als Sammlung von Zeichen und Zeichenverwendungsregeln zu betrachten, sondern immer zugleich auch als Aktivität der Kommunikation mit semantischem Gehalt.
Benveniste untersuchte die Abhängigkeit der aristotelischen Kategorien von der griechischen Sprache. Die Kategorien, behauptete er, seien nicht ontologisch fundiert, sondern sie seien an grammatischen Strukturen des Griechischen abgelesen. Die philosophische Frage nach dem Sein habe mit der besonderen Bedeutung des Konzepts ‚Sein‘ in den indoeuropäischen Sprachen zu tun, denn in diesen Sprachen bedeute die Kopula zugleich ‚Existenz‘ und ‚Identität‘.
Benvenistes Diskurstheorie fand Resonanz in der Erzähltheorie (z. B. bei Gérard Genette) und in der Literaturtheorie, etwa bei Brooke-Rose, Barthes, Kristeva, Todorov und Harald Weinrich. Terry Eagleton nutzte die Unterscheidung von histoire und discours für seine Theorie des politischen Subtexts: énoncé und énonciation versuchten, sich aus politischen Gründen wechselseitig in den Hintergrund zu drängen.
in der Reihenfolge des Erscheinens
Personendaten | |
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NAME | Benveniste, Émile |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Linguist |
GEBURTSDATUM | 27. Mai 1902 |
GEBURTSORT | Aleppo |
STERBEDATUM | 3. Oktober 1976 |
STERBEORT | Paris |