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Nahuatl (Aussprache: [ˈnaːwatɬ] Klassisches Nahuatl, auch bekannt als Aztekisch oder veraltet Mexikanisch) ist eine Variante der Nahuatl-Sprache, die in vorspanischer Zeit im Tal von Mexiko (auch Anahuac-Tal – „Land zwischen den Wassern“) von Azteken und verwandten Nahua-Völkern (Acolhua, Huexotzinca, Tepaneken, Tlaxcalteken, Tolteken u. a.) gesprochen wurde. Durch den Aufstieg des Aztekischen Dreibunds zur Hegemonialmacht im 15. und 16. Jahrhundert etablierte sich das Klassische Nahuatl als Verkehrssprache in Zentralmexiko.

Klassisches Nahuatl (Aztekisch)

Modernes Nahuatl

Gesprochen in

Mexiko
Sprecher 1,7 Millionen
Linguistische
Klassifikation
  • Uto-Aztekische Sprachen
    Südliche uto-aztekische Sprachen
    Nahua-Sprachen (Nahuan)
    Allgemeines Aztekisch
      Nahuatl
Offizieller Status
Amtssprache in Nationalsprache in Mexiko Mexiko
Sprachcodes
ISO 639-1

ISO 639-2

nah

Textbeispiel für Nahuatl: Tafel in Teotihuacán
Textbeispiel für Nahuatl: Tafel in Teotihuacán

In den Jahrhunderten nach der spanischen Eroberung Mexikos wurde das Klassische Nahua größtenteils durch das Spanische verdrängt und entwickelte sich in mehrere Dialekte des heutigen modernen Nahuatl (auch Nawatl, von ihren Sprechern Nāhuatlahtōlli (Nawatlahtolli), heute meist Mexicatlatolli (Mexihkatlahtolli) oder Mexicano „Mexikanisch“, beziehungsweise je nach Dialekt auch Nahuat, Nawat oder Nahua genannt). Manche modernen Nahuatl-Dialekte, die weniger dem Einfluss des Spanischen ausgesetzt waren, stehen jedoch den anderen Nahuatl-Sprachen des 16. Jahrhunderts näher. Das moderne Nahuatl wird heute von verschiedenen Nahua-Ethnien, vor allem in den mexikanischen Bundesstaaten Puebla, Veracruz, Hidalgo und Guerrero, gesprochen.

Mit heute ca. 1,7 Mio. Sprechern[1] (Nahua) ist sie die meistgesprochene indigene Sprache Nord- und Mittelamerikas und zählt zum Südlichen Zweig der uto-aztekischen Sprachfamilie (die übrigen Sprachen dieser Gruppe wie Hopi oder Huichol sind in Nordmexiko und den USA angesiedelt), was die von der aztekischen Geschichtsschreibung überlieferte Herkunft aus dem Norden somit auch durch linguistische Daten bestätigt.[2] Die meisten Nahua sind zweisprachig mit Spanisch und Nahuatl aufgewachsen.


Einordnung der Sprache und Nahua-Dialekte


Das Nahuatl, eine agglutinierende und polysynthetische Sprache und ist wegen des weitläufigen Sprachgebiets (oft nicht miteinander verbunden) in viele Dialekte unterteilt, von denen viele untereinander schwer verständlich sind.

Eine Variante des Klassischen Nahuatl (Mexicahtlahtolli) wird in Xochimilco und Milpa Alta (in Mexiko-Stadt) gesprochen. Andere wichtige Dialekt-Varianten sind die des Hochtals von Puebla-Tlaxcala, von Morelos im Westen der Nahua-Zone und die so genannten „t“-Dialekte (Nawat) im Süden von Veracruz. SIL International unterteilt das moderne Nahuatl in 29 Einzelsprachen (einschließlich Nawat (Pipil) in El Salvador).

Die bekannteste Variante ist das Klassische Nahuatl, das auch in den Aufzeichnungen der ersten Missionare verwendet wurde. Eine Theorie besagt, dass das Klassische Nahuatl zur Zeit der Eroberung Mexikos von der oberen Gesellschaftsschicht verschiedener Dialektgruppen gesprochen wurde (und somit in etwa der Funktion des Standarddeutschen im deutschen Sprachraum vergleichbar wäre).[3] Die meiste Literatur über und auf Nahuatl bezieht sich auf das Klassische Nahuatl.


Gliederung der Nahuatl-Sprachen



Dialekte des modernen Nahuatl


Dialekte des modernen Nahuatl mit ISO-639-3-Code, sortiert nach Anzahl der Sprecher

(Name [ISO subgroup code] – Region ~ungefähre Anzahl der Sprecher)

Sprachgeschichte


In der präspanischen Zeit war das Klassische Nahuatl (Mexicahtlahtolli) die wichtigste Sprache des gegenwärtigen Mexiko. Neben dem Mayathan der Maya von Yucatán, das als Schrift- und Verkehrssprache im Kulturraum der Maya diente, war Nahuatl die Lingua franca Mesoamerikas und oft die Wirtschaftssprache innerhalb der Regionen. Selbst bei der Elite des Quiché-Reichs im heutigen Guatemala war Klassisches Nahuatl ein allgemein bekanntes Verständigungsmittel.

Die Azteken kannten eine Bilderschrift (Piktogramme und Ideogramme), ergänzt durch einige auf der Nahuatl-Aussprache basierende Silbenäquivalente, mit der sie z. B. Stammbäume, astronomische Daten und Tributlisten festhielten. Die Azteken-Schrift war jedoch bei weitem nicht so flexibel wie etwa die Maya-Schrift.

Die Spanier vernichteten den Großteil der aztekischen Handschriften. Für das Klassische Nahuatl führten sie das lateinische Alphabet ein, mit Hilfe dessen im 16. Jahrhundert eine große Menge an Nahuatl-Literatur (Prosa und Gedichte) festgehalten wurde, weitaus mehr als in jeder anderen indigenen Sprache Amerikas. So ist das Klassische Nahuatl der Azteken durch das zweisprachige enzyklopädische Werk Historia general de las cosas de Nueva España des spanischen Missionars Bernardino de Sahagún umfangreich dokumentiert. Desgleichen sind viele Gedichte überliefert, die dem „Dichterkönig“ von Texcoco, Nezahualcóyotl, zugeschrieben werden.

Den Status des Klassischen Nahuatl als allgemeine Verkehrssprache (Lingua franca) nutzten die Spanier während der Kolonialzeit und behielten ihn bis ins 18. Jahrhundert bei. Erst nach der Unabhängigkeit Mexikos im 19. Jahrhundert etablierte sich Spanisch als nationale und offizielle Sprache, und das Klassische Nahuatl verlor rasch an Bedeutung.


Heutige soziolinguistische Situation


Das heutige Nahuatl (Mexicatlatolli oder Mexicano) ist die am meisten gesprochene indigene Sprache in Mexiko. Die Gesamtzahl der Nahuatl-Sprecher nimmt zu, jedoch weniger stark als die Gesamtbevölkerung Mexikos. Nach der Volkszählung 2000 in ganz Mexiko wurde Nahuatl von 1.448.936 Menschen ab 5 Jahren gesprochen – 1,7 % der Mexikaner ab 5 Jahren –, während es 2010 bereits 1.544.968 Personen, aber nur noch 1,5 % der Bevölkerung entsprachen. Von diesen sprachen 1.348.255 (87,27 %) auch Spanisch. 1.586.884 Mexikaner ab 3 Jahren gaben 2010 an, Nahuatl zu sprechen. 177.666 Kinder zwischen 3 und 9 Jahren sprachen Nahuatl, was 11,20 % aller Nahuatl-Sprecher ab 3 Jahren ausmacht, während 14,71 % der Gesamtbevölkerung Mexikos ab 3 Jahren 3–9 Jahre alt sind.[4] Der geringere Anteil von Kindern an der Gesamtsprecherzahl ist Ausdruck dafür, dass die Bedeutung des heutigen modernen Nahuatl im Landesmaßstab abnimmt. Nahuatl wird in der Regel nur für die lokale Kommunikation (d. h. innerhalb der Heimatgemeinde der Sprecher) verwendet. Außerdem besteht in vielen Gebieten die Tendenz, mit den Kindern nur Spanisch zu sprechen, um ihnen auf diese Weise bessere Erfolgschancen in der Schule zu sichern.

Nahuatl wird in verschiedenen Bundesstaaten Mexikos gesprochen, hauptsächlich in Puebla, Veracruz, Hidalgo, Guerrero, San Luis Potosí, Mexiko-Stadt (Distrito Federal), Tlaxcala, Morelos, México, aber auch in Oaxaca, Jalisco und Michoacán.

Anzahl der Nahuatl-Sprecher im Alter von fünf Jahren und älter (2010: 3 Jahre und älter) in den verschiedenen Bundesstaaten (Quelle: INEGI 2020: Censo de Población y Vivienda 2020INEGI 2010: Censo de Población y Vivienda 2010[4]; INEGI, 2000[5]; INEGI, 1980[6]; Horcasitas de Barro & Crespo 1979[7][8])

Verbreitungsgebiet des Nahuatl in Mexiko
Verbreitungsgebiet des Nahuatl in Mexiko
Verbreitung der Nahuatl-Sprecher pro Staat
Verbreitung der Nahuatl-Sprecher pro Staat
Bundesstaat Sprecher 2020 Anteil 2020 Sprecher 2010 Anteil 2010 Sprecher 2000 Anteil 2000 Sprecher 1980 Sprecher 1970
Puebla 453.162 7,26 % 447.797 8,31 % 416.968 8,21 % 369.678 266.181
Veracruz 365.915 4,74 % 355.785 4,97 % 338.324 4,90 % 347.597 199.435
Hidalgo 234.450 7,96 % 245.153 9,83 % 221.684 9,92 % 177.902 115.359
Guerrero 180.628 5,43 % 170.622 5,40 % 136.681 4,44 % 128.192 75.861
San Luis Potosí 121.079 4,50 % 141.326 5,85 % 138.523 6,02 % 127.319 72.495
Distrito Federal 39.475 0,44 % 33.796 0,41 % 37.450 0,44 % 83.064 15.039
Tlaxcala 23.171 1,84 % 23.402 2,13 % 23.737 2,47 % 26.689 18.404
Morelos 24.617 1,30 % 19.509 1,17 % 18.656 1,20 % 24.067 14.787
Mexiko (Bundesstaat) 71.338 0,44 % 66.670 0,47 % 55.802 0,43 % 22.689 10.366
Mexiko gesamt 1.651.958 1,38 % 1.586.884 1,51 % 1.448.936 1,73 % 1.376.026 799.394

Die Entwicklung der nahuatlsprachigen Bevölkerung differiert stark von Region zu Region. Während in entlegenen Gebieten (Sierra de Puebla, San Luis Potosí, Hidalgo, Guerrero) die Sprache noch sehr vital ist und die Bevölkerung teilweise stark zunimmt, ist die Sprecherzahl im ehemaligen Zentrum des Sprachgebiets (Mexiko-Stadt und Staat, Tlaxcala, Morelos, Zentral-Puebla) meist stark rückläufig und die Sprache in weiten Gebieten bereits gänzlich ausgestorben. So waren z. B. in der Gemeinde San Jerónimo Amanalco (Municipio Texcoco) im Jahre 1960 noch 94 % der Bevölkerung zweisprachig Nahuatl-Spanisch, während es 2000 nur noch 27 % waren und der Rest einsprachig spanisch.[9] Die Zunahme der Sprecherzahl im Staat Mexiko erklärt sich ausschließlich durch die starke Zuwanderung in die Vororte der Hauptstadt. Wesentliche Ursache für den Rückgang der Sprache ist ein gegenüber indigenen Sprachen feindseliges, rassistisches Umfeld, auf Grund dessen Nahuas ihre Sprache verleugnen und sie ihren Kindern nicht mehr vermitteln, um nicht als „Indio“ beschimpft zu werden.[10]

Dialekte des Nahuatl wurden bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein auch in den Bundesstaaten Nayarit, Colima, Jalisco und Tabasco gesprochen.

Eingang nach Milpa Alta (San Pedro Atocpan) mit zweisprachiger Aufschrift („Willkommen“)
Eingang nach Milpa Alta (San Pedro Atocpan) mit zweisprachiger Aufschrift („Willkommen“)

Erst in jüngster Zeit wird Nahuatl (wie auch einige andere indigene Sprachen Mexikos) in einigen Schulen mit nahuatlsprachigen Kindern in der interkulturellen zweisprachigen Erziehung (Educación Intercultural Bilingüe) EIB verwendet. Stellenweise ist auch die Einführung von EIB zur Wiedererlangung beziehungsweise Rettung der Sprache in Planung, so im Süden des Distrito Federal, wo sie heute fast nur noch von Älteren gesprochen wird (Milpa Alta, Tlalpan, Xochimilco, Tláhuac). Dem steht ein anderer Ansatz gegenüber, das Nahuatl kleinen Kindern (deren Eltern nicht mehr Nahuatl können) außerhalb des klassischen Schulkontextes durch Muttersprachler in gesprochener Form zu vermitteln, im Kindergarten oder frühen Grundschulalter. Im zu Milpa Alta gehörenden Dorf Santa Ana Tlacotenco werden zudem kostenlose Sprachkurse (zum Sprechen des Nahuatl) für Erwachsene angeboten.[11] Der langjährige Rassismus gegenüber nahuatlsprachigen Menschen hat jedoch oft auch dazu geführt, dass Eltern Nahuatl-Unterricht für ihre Kinder ablehnen und das Aussterben ihrer Sprache als unvermeidlich für die Verhinderung zukünftiger Diskriminierung ansehen. So ist auch das Interesse bei Lehrern und in der Schulverwaltung am Nahuatl vielfach nur gering.[12] Mancherorts wiederum kämpfen lokale Initiativen gegen das Desinteresse der Behörden an, um Schulprogramme zur Rettung der bedrohten Sprache durchzusetzen, so z. B. in San Jerónimo Amanalco.[9] Hier, im letzten Dorf des Municipio Texcoco, in dem auch noch Kinder Nahuatl sprechen, wurde durch kommunales Engagement 1985 die erste zweisprachige Primarschule Mexikos gegründet.[13] Lokale Forderungen nach einer zweisprachigen Sekundarschule sind allerdings bisher erfolglos geblieben.[14] Zweisprachigen Unterricht gibt es im Municipio Texcoco inzwischen auch an zwei Primarschulen in Santa Catarina del Monte, wo es nur noch wenige Nahuatl-Sprecher gibt.[15] Wesentlich für den Erhalt der Sprache ist die mit einer positiven Bewertung des Nahuatl verbundene ethnische Identität, wie sie etwa in einem Fernsehinterview mit einem Schulvertreter von San Jerónimo Amanalco zum Ausdruck kommt, der die Bezeichnung „Indio“ scharf ablehnt („Indios müssen Sie in Indien suchen“) und dafür betont, sein Dorf seien „zu 100 %“ Nahuatlaca, Mexicanos und damit auch Indígenas.[16][17]

Seit 2003 ist Nahuatl gemeinsam mit 61 weiteren indigenen Sprachen in Mexiko als „Nationalsprache“ anerkannt und der Staat zu seiner Förderung verpflichtet.

Der Bürgermeister von Mexiko-Stadt, Marcelo Ebrard, kündigte 2007 an, ab dem Schuljahr 2008/2009 für alle Schüler in der Primarstufe Nahuatl als Pflichtfach einzuführen. Die Rettung des Nahuatl sei eine öffentliche Aufgabe und nicht nur eine Angelegenheit bestimmter Teile der Gesellschaft.[18] Außerdem will Ebrard alle öffentlichen Angestellten von Mexiko-Stadt dazu verpflichten, Nahuatl zu lernen.[19]


Phonologie


Das Nahuatl hat 15 konsonantische sowie jeweils fünf kurze und lange vokalische Phoneme.

Typisch für das Nahuatl sind Substantive, die auf „-tl“ enden, wie etwa Popocatepetl, Axolotl, Quetzalcoatl, Xocolatl (Kakaotrank, Trinkschokolade)[20], Tomatl (Tomate)[21], Ahuacatl (Avocado)[22] oder Metl (Agave), wobei das „-tl“ in vielen heutigen Dialekten zu „l“ oder „t“ geworden ist.


Konsonanten


 LabialAlveolarPostalveolarPalatalVelarGlottal
Plosive pt  k / ʔ
Frikative  sʃ   
Affrikate    / ts   
Approximanten  l jw 
Nasale mn    

Vokale


 VorderzungeMittelzungeHinterzunge
langkurzlangkurzlangkurz
hoch iu
mittel e̞ːo̞ː
niedrig äːä

Betonung


Jedes Nahuatl-Wort wird auf der vorletzten Silbe betont. Einzige Ausnahme ist der Vokativ, der auf der letzten Silbe betont wird.

Ein Beispiel zur Aussprache:

Colhua Mēxihcah – [ˈko̞lwä me̞ːˈʃiʔkäʔ]


Grammatik, Syntax


Nahuatl ist eine agglutinierende, polysynthetische Sprache mit variabler Satzstellung, die zwischen VSO, VOS und SVO schwanken kann.

Ein Wort innerhalb eines Nahuatl-Satzes ist für gewöhnlich aus einem oder mehreren Präfixen, dem oftmals erweiterten Wortstamm und einem oder mehreren Suffixen zusammengesetzt. Die Konjugation richtet sich nicht nur nach dem Subjekt, sondern – ähnlich wie etwa im Ungarischen oder im Quechua – auch nach dem Objekt.
Beispiel: Nimitzittaz. – „Ich werde dich sehen.“ Dieser Satz besteht im Nahuatl aus einem einzigen Wort, zusammengesetzt aus dem Wortstamm itta („sehen“), dem Präfix beziehungsweise Präfixsubjekt ni („ich“), dem Präfixobjekt der 2. Person mitz („dich“) und dem Suffix z (Zukunft).

Durch das Aneinanderfügen mehrerer Wortstämme und Affixe können sehr lange Wörter gebildet werden, die man in europäischen Sprachen durch lange Sätze mit vielen Wörtern ausdrückt. So heißt zum Beispiel nehualmoyecastemojmolunijtzinutinemisquiöni (Tetelcingo-Nahuatl): „Ihr ehrenwerten Menschen könntet gekommen sein und euch eure Nasen gestoßen haben, so dass sie bluten, aber tatsächlich habt ihr es nicht getan“[23]. Auf Grund dieser langen Wörter sowie einiger für Europäer ungewohnter Lautkombinationen (insbesondere das sehr häufige tl) wurde und wird die Sprache oft als „unaussprechbar“ bezeichnet. Dies ist jedoch auf die Unkenntnis eines andersartigen, nicht indogermanischen Sprachkonzepts zurückzuführen.

Ein wichtiges Charakteristikum des Nahuatl ist die Unterscheidung zwischen „beweglichen“ und „unbeweglichen“ Substantiva. „Bewegliche“ Substantiva bezeichnen Menschen, Tiere und einige andere Begriffe. Alle anderen Substantiva sind „unbeweglich“ und haben keinen grammatischen Plural. Die Mehrzahl kann hier nur durch Vorsetzen von Zahlwörtern beziehungsweise des Wortes huel („viel“) ausgedrückt werden, z. B. huel mitl („Pfeile“ oder wörtlich „viel Pfeil“).

Die Pluralendung kann sehr unterschiedlich sein, wobei es acht verschiedene Endungen gibt.[24]

Singular Plural Beispiel Bedeutungen
-tli, -li, -in -tin macehualli – macehualtin Bauer – Bauern
-tl -meh tlacatl – tlacameh Mensch – Menschen
-e -equeh
-hua -huaqueh
-tzintli -tzitzintin
-tzin -tzitzin
-tontli -totontin
-ton -toton

Einige Wörter verlieren bei der Pluralbildung zwar die Singularendung, verdoppeln aber dann die erste Silbe, wie zum Beispiel ticitl („Arzt, Heiler“), titici („Ärzte“). Bei einigen Wörtern wird die Endung mit der Verdoppelung (Reduplikation) kombiniert, wie zum Beispiel citlalin („Stern“), cicitlaltin („Sterne“). Bei vielen Wörtern auf -tl, die Menschen bezeichnen, wird stattdessen die Endung -h verwendet, wie zum Beispiel Mexicatl („Mexikaner“), Mexicah.[24]

In den Dialekten können abweichende Formen auftreten. Zum Beispiel erscheint dann statt des regulären Plurals von calli („Haus“): caltin („Häuser“) die Variante calmeh.[24]

An Stelle von Hilfsverben und Modalverben werden im Nahuatl Substantiva und Adjektiva wie Verben konjugiert. In der dritten Person (Singular wie Plural) bleibt das Substantiv unverändert. Beispiel:
pilli (Prinz, Edelmann)
nipilli – Ich bin ein Prinz (wörtlich „ich Prinz“)
tipilli – Du bist ein Prinz („du Prinz“)
pilli – Er ist ein Prinz („er Prinz“)
tipipiltin – Wir sind Prinzen („wir Prinzen“)
anpipiltin – Ihr seid Prinzen („ihr Prinzen“)
pipiltin – Sie sind Prinzen („sie Prinzen“)

Viele Ortsnamen in Mexiko enden auf -co, -pan oder -tlan, ortsanzeigende Endungen (Lokativsuffixe) des Nahuatl. Die Endung -tzinco, in Ortsnamen heute meist -cingo geschrieben, ist aus den Nahuatl-Affixen -tzin (Respektform) und -co zusammengesetzt. Die Endung -tenanco (auch -tenango) besteht aus dem Substantiv tenāmitl, Stadtmauer, und dem Lokativsuffix -co, bezieht sich also auf einen einstmals befestigten Ort. Eine Bildung aus den Affixen beziehungsweise Wurzeln te- (besitzanzeigend), nantli (Mutter) und -co (Lokativ) ist wegen der notwendigen Position des Possessivpronomens am Anfang des Wortes nicht möglich. Die Interpretation, dass diese Ortsnamen auf alte Göttinnen oder die Jungfrau Maria verweisen, ist deshalb nicht haltbar.

Die ursprünglichen Zahlwörter des Nahuatl basieren wie früher bei allen Sprachen Mesoamerikas konsequent auf einem Zwanzigersystem. Heutzutage sind meist die Zahlwörter ab 21 oder auch schon ab vier oder fünf in Vergessenheit geraten, so dass selbst Einsprachige in der Regel auf Spanisch zählen. Die Nahuatl-Bezeichnungen für die Zahlwörter von 1 bis 10:


Orthographie


Bis heute wird das Nahuatl in der Regel in der von den frühen Missionaren (darunter Bernardino de Sahagún) verwendeten, auf der spanischen Rechtschreibung basierenden Orthographie geschrieben. Auch in der Nahuatl-Wikipedia findet sich diese Schreibweise, ergänzt durch das Makron (Strich über den Vokalen zum Anzeigen von Längen). Folgende Buchstaben weichen in ihrem Lautwert von den oben wiedergegebenen IPA-Zeichen ab. Dies entspricht auch in etwa dem Lautwert, den sie im Spanischen des 16. Jahrhunderts hatten:

Lautwert Franziskaner
(u. a. Sahagún)
Jesuiten
(Carochi / Paredes)
(frühe)
Varianten
ʃ x x
kʷa qua qua gua
ke, ki que que
se, si ce, ci ce, ci
k c c
ts tz tz ţ
ch ch
tl tl
w u, v hu / uh
ʔ (saltillo) meist nicht markiert h / â, ê, î, ô

Es gibt Versuche, eine stärker an die aztekische Phonologie angepasste, vom Spanischen unabhängige Rechtschreibung durchzusetzen. Eine entsprechende Orthographie wurde vom Ministerium für öffentliche Erziehung (Secretaría de Educación Pública, SEP) beschlossen, um sie in interkultureller zweisprachiger Erziehung in Schulen zu verwenden. Die Unterschiede betreffen die Laute /k/, /s/ und /w/ sowie den Saltillo:

Diese neue Orthographie wird auch von SIL International in einigen Gebieten bei der Missionierung verwendet, während SIL anderswo auf dem Spanischen basierende Rechtschreibungen verwendet.


Hispanisierung und Indigenismen



Einfluss des Spanischen auf das Nahuatl


Im Laufe der Kolonialzeit veränderte sich das Klassische Nahuatl (Mexicahtlahtolli) durch den zunehmenden Einfluss des Spanischen erheblich, bis es sich in die heutigen modernen Nahuatl-Dialekte wandelte. Zum einen endete mit der Conquista die Tradition des calmecac, in dem die aztekische Elite (Adelige zu Priestern, Strategen sowie Führern) erzogen wurde, eine Erziehung, zu der auch Rhetorik und die Pflege mündlicher Überlieferung (huehuetlahtolli) gehörten.

Die heutigen Nahuatl-Dialekte (Mexicatlatolli oder Mexicano) unterscheiden sich daher deutlich vom Klassischen Nahuatl der prähispanischen Ära, insbesondere bezüglich des Wortschatzes:

Ein alltäglicher Abschiedsgruß unter Nahuatl-Sprechern ist hasta moxtla, zusammengesetzt aus spanisch hasta „bis“ und Nahuatl moxtla „morgen“. Alte mexikanische Flüche sind durch den Einfluss der katholischen Kirche praktisch völlig vergessen; dafür sind auch bei einsprachigen Nahuatl-Sprechern spanische Flüche verbreitet.

Gegen die Tendenz der Hispanisierung gab und gibt es allerdings auch Bemühungen, Nahuatl durch Neologismen bewusst weiterzuentwickeln (z. B. nenitepozmecatlahtoa „ich telefoniere“, wörtlich: mit dem Eisendraht sprechen).


Spanische Lehnwörter aus dem Nahuatl


Das heutige mexikanische Spanisch sowie das Spanische in Guatemala (teilweise auch Honduras und El Salvador) weist viele Indigenismen, meist aus dem Nahuatl sowie aus den verschiedenen Maya-Sprachen, auf. Insbesondere Substantive (Orts-, Gegenstands-, Tier- sowie Pflanzennamen) wurden aus dem Nahuatl übernommen, wie z. B.

Ortsnamen:

Gegenstände:

Tiere (Fauna):

Pflanzen (Flora):

Sonstiges:

In der spanischen Standardsprache gibt es immerhin etwa 1.500 Wörter, die aus dem Nahuatl stammen, von denen allerdings nur ca. 200 im Alltag gebräuchlich sind. Bemerkenswert ist, dass das Tagalog, die wichtigste Sprache auf den Philippinen, etwa 250 Wörter aus dem Nahuatl entlehnt hat. Dies wird auf die einst wichtigen Handelsbeziehungen zwischen den beiden spanischen Kolonien Mexiko (Neuspanien) und Philippinen zurückgeführt.


Deutsche Lehnwörter aus dem Nahuatl


Durch Vermittlung des Spanischen besitzt auch das Deutsche Lehnwörter aus dem Nahuatl, wie z. B. Avocado (aguacate in Mexiko, aus ahuacatl – in den 50er Jahren nannte man sie noch „Eierfrüchte“, da ahuacatl auch „Hoden“ bedeutet), Chili (chilli), Kojote (coyotl), Ozelot (Ocelotl), Schokolade (xocolatl), Kakao (cacahuatl, eigentlich aus einer Maya-Sprache), Tomate (tomatl) und Axolotl.


Textbeispiel


Nican i’cuiliuhtica in itla’tollo in ompa huallaque’ in Mexi’ca’ in itocayo’can Aztlan. Ca anepantla’ in ompa hualehuaque’ ca nauh calpoltin. Auh inic huallamacehuaya acaltica, in quihualtemaya in imacxoyauh. In oncan itocayocan Quinehuayan oztotl. Onca ca in oncan quizque’ chicue calpoltin

Übersetzung mit Beibehaltung der Wortfolge: Hier ist aufgeschrieben die Erzählung darüber, von wo hergekommen sind die Mexica, (dem Ort) mit Namen Aztlan. Richtig mitten im Wasser (liegt der Ort), von wo die vier Stämme ausgezogen sind. Dann haben sie auf den Booten ihre Opfer mit Fichtenzweigen verrichtet. Dort liegt (auch) die Quinehuayan-Höhle („wo man herauskommt“-Höhle). Dort ist es, wo aufgebrochen sind die acht Stämme.

Der Text (hier in standardisierter Orthographie, aber ohne Vokallängen) aus dem Codex Aubin beschreibt die Szene auf der ersten Seite des Codex Boturini.


Literatur



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Moderne Dialekte


Grammatiken



Klassisches Nahuatl


Moderne Dialekte


Texte



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Einzelnachweise


  1. Censo de Población y Vivienda 2020. Abgerufen am 20. Juli 2022.
  2. Una Canger: Five Studies Inspired by Náhuatl Verbs in: Travaux du Cercle Linguistique de Copenhague, Vol. XIX. Copenhagen, S. 12, und: Terrence Kaufman: "The history of the Nawa language group from the earliest times to the sixteenth century: some initial results" 2001, S. 1
  3. Una Canger: Nahuatl dialectology: A survey and some suggestions. In: University of Chicago Press (Hrsg.): International Journal of American Linguistics. 54, Nr. 1, Chicago, 1988, S. 28–72.
  4. INEGI 2010: Censo de Población y Vivienda 2010, abgerufen am 25. März 2011
  5. Instituto Nacional de Estadística, Geografía e Informática, Síntesis de Indicadores Sociodemográficos, 2000
  6. Instituto Nacional de Estadística, Geografía e Informática, Censo General de Población y Vivienda, 1980
  7. María Crespo y M.L. Horcasitas de Barro, Hablantes de lengua indígena en México, Mexiko-Stadt 1979.
  8. Censo de Población y Vivienda 2020. Abgerufen am 20. Juli 2022.
  9. Almendra Vázquez Bravo: Al rescate de una lengua. Enclavados en la Sierra Nevada, cerca de Texcoco, el kínder "Xochipilli" y la primaria "Kuaujtemok" no imparten inglés sino náhuatl, para preservar las culturas indígenas. El Universal, 20. Oktober 2002.
  10. Kellie Rolstad: Language death in Central Mexico: the decline of Nahuatl and the new Bilingual maintenance programs. Bilingual Review, January 1, 2001. online
  11. El idioma náhuatl está en riesgo de desaparecer por falta de tradición oral, alertan expertos. El Sur de Acapulco, 18. März 2011
  12. Evaluación del programa „asesor técnico pedagógico“ de la D.G.E.I.-SEP, con el fin de evaluar cuantitativamente el Programa Asesor (Memento vom 15. September 2006 im Internet Archive) (pdf; 4,0 MB)
  13. Emilio Fernández Román: San Jerónimo, último reducto náhuatl. El Universal, 26. Juli 2004.
  14. Luchan en Texcoco por preservar lengua náhuatl. Hoy Estado de México, 23. September 2013.
  15. Texcoco busca preservar el Náhuatl en tres de sus escuelas. Peródico Supremo, 21. Februar 2014. (Memento vom 16. Mai 2016 im Internet Archive)
  16. Short video about Nahuatl-Spanish schools in San Jeronimo Amanalco, Mexico
  17. Jay Sokolovsky (2010): A McDonald's Nightmare: Return to a Mexican Village
  18. BBC World Service, 4. Mai 2007. http://news.bbc.co.uk/hi/spanish/misc/newsid_6621000/6621877.stm
  19. Mica Rosenberg: Mexico City mayor wants to revive Aztec language. The San Diego Union-Tribune, 22. Februar 2008.
  20. chocolate. Etymology Online Dictionary. 2018.
  21. tomato. Etymology Online Dictionary. 2018. Abgerufen am 15. Januar 2018.
  22. Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24. Auflage, De Gruyter, Berlin 2002.
  23. SIL: A Long Word in Mösiehuali (Tetelcingo Nahuatl)
  24. Kauderwelsch Band 179, Aztekisch (Nahuatl) Wort für Wort, 1. Auflage 2004, ISBN 3-89416-355-0, Seiten 24–25

На других языках


- [de] Nahuatl

[en] Nahuatl

Nahuatl (English: /ˈnɑːwɑːtəl/;[5] Nahuatl pronunciation: [ˈnaːwat͡ɬ] (listen)),[cn 1] Aztec, or Mexicano[8] is a language or, by some definitions, a group of languages of the Uto-Aztecan language family. Varieties of Nahuatl are spoken by about 1.7 million Nahua peoples, most of whom live mainly in Central Mexico and have smaller population in the United States.

[es] Náhuatl

El náhuatl (autoglotónimo: nawatlahtolli) o mexicano[3] es una macrolengua yutonahua que se habla en México y Centroamérica. Existe, por lo menos, desde el siglo V, si bien, cuando se diferenciaron el yutonahua del sur y el proto-nahua (c. siglo III), comenzó a ser posible hablar náhuatl en sentido estricto. En la actualidad, el idioma mexicano es la lengua autóctona de México con mayor número de hablantes,[4] con cerca de tres millones, la mayoría bilingüe con el español o trilingüe con el inglés.

[fr] Nahuatl

Le nahuatl[3] (/ˈnaːwatɬ/ .mw-parser-output .prononciation>a{background:url("//upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/8/8a/Loudspeaker.svg/11px-Loudspeaker.svg.png")center left no-repeat;padding-left:15px;font-size:smaller}Écouter), dont le nom dérive probablement du mot « nāhuatlahtōlli »[4], ou mexicain[5] est une macro-langue (groupe de langues apparentées) de la famille uto-aztèque. Les différentes variétés de nahuatl sont parlées dans plusieurs pays d'Amérique du Nord et d'Amérique centrale, principalement dans certains États du centre et du sud du Mexique : Puebla, Veracruz, Hidalgo et Guerrero. On recense actuellement plus de 2 millions de locuteurs du nahuatl[1], dont la majorité sont des Nahuas mexicains. C'est la langue indigène la plus parlée au Mexique.

[it] Lingua nahuatl

Il nāhuatl è una lingua originaria della popolazione azteca, che si trova nell'attuale Messico, ed è chiamata anche uto-azteca.

[ru] Астекские языки

Асте́кские языки (ацтекские, науаские, на́уа, на́уатль (инф.)) — группа индейских языков в Мексике и Сальвадоре, одна из основных групп южных юто-ацтекских языков. Общее число говорящих — около 1,5 млн чел. (оценка, кон. 1990-х гг.); этноязыковая общность — науа. Оценки числа языков разнятся от двух или трёх до тридцати. По данным лексикостатистики, уверенно выделяются пять основных живых языков и несколько вымерших. Ацтекские языки часто называют диалектами, что неверно. Социальный статус астекских языков в Мексике и Сальвадоре невысок, многие находятся на грани вымирания, другие преподаются в школе.



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