Nehrungskurisch (nehrungskurisch: kursisk valuod, lettisch kursenieku valoda) ist eine ostbaltische Sprache, die bis 1945 auf der Kurischen Nehrung (damals Ostpreußen) von Fischern gesprochen wurde. Es handelt sich um einen lettischen Dialekt mit starken Einflüssen der litauischen, niederdeutschen und deutschen Sprache. Es besteht kein direkter Zusammenhang zur vermutlich westbaltischen altkurischen Sprache.
Nehrungskurisch | ||
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Gesprochen in |
Deutschland | |
Sprecher | ~7 | |
Linguistische Klassifikation |
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Entgegen veralteter Hypothesen des 19. Jahrhunderts, die noch häufig weitergegeben werden, ist Nehrungskurisch weder ein Überrest der westbaltischen alten preußischen Sprache, noch der westbaltischen alten kurischen Sprache, die beide seit Jahrhunderten nicht mehr gesprochen werden, sondern steht der ostbaltischen lettischen Sprache am nächsten und wird entweder als lettischer Dialekt oder als eigene ostbaltische Sprache klassifiziert.
Nach dem Ende der langen Grenzkriege des Deutschen Ordens gegen das Königreich Polen und Großfürstentum Litauen, die die Grenzregionen beider Seiten verwüsteten, im Friede vom Melnosee 1422 und endgültig im Zweiten Thorner Friede 1466 ergab sich seit Ende des 15. Jahrhunderts die Notwendigkeit, die fast entvölkerte „Große Wildnis“ im Norden, Osten, Süden und an der Küste des Deutschordensstaates Preußen allmählich wieder zu besiedeln. Nur die Zentralgebiete hatten eine konstante Besiedlung aus deutschsprachiger Bevölkerung, in die sich bis zum 17. Jahrhundert auch die altpreußisch-westbaltische Bevölkerung assimilierte. Zur Wiederbesiedlung der „Großen Wildnis“ wurde neben einigen deutschen Siedlern im 16.–17. Jahrhundert v. a. im Norden und Osten litauische Bauern („Preußisch Litauen“), im Süden polnische Bauern („Masuren“), oft protestantische Emigranten vor der katholischen Gegenreformation in Polen und Litauen, ins Land geholt, an die Küste dagegen Fischer aus der im heutigen Westen Lettlands gelegenen Region Kurland. Diese „Kuren“ (nehrungskurisch: Kursenieki, lettisch: kursi, kurši) sprachen nicht mehr die alte westbaltische kurische Sprache, sondern mittellettische ostbaltische Dialekte, die bis zum 15. Jahrhundert durch Zuzug aus Lettgallen und Semgallen die altkurische Sprache in Kurland verdrängt hatten. Wie aus historischen Quellenauswertungen bekannt ist, breiteten sich die kurisch-lettischen Fischerdörfer vom 14.–17. Jahrhundert allmählich über die kurische und litauische Küste, die Kurische Nehrung und einige Dörfer an der Innenseite des Kurischen Haffs, über die Küste Samlands und das Frische Haff bis zur Küste östlich von Danzig aus. Die gesamte Meeresfischerei dieser Region lag im 17. Jahrhundert in der Hand kurischer Fischer. Nehrungskurisch wird deshalb oft auch als Soziolekt der Ostseefischer der Region charakterisiert, während die Bauern im Landesinneren polnisch, deutsch oder litauisch sprachen. Nach Andreas Kossert begann diese Ausbreitung kurischer Fischer westlich der Rigaer Bucht.[1] Deshalb bestand keine sprachliche Kontinuität zu den südlichen Stämmen der alten Kuren. Die preußisch-litauischen Grenzgebiete (West-Samogitien und Kleinlitauen) waren im 15. Jahrhundert weitgehend entvölkert und wurden danach meist von litauischen Bauern neu besiedelt, was natürlich individuelle und einzelne familiäre Kontakte mit der Vorbevölkerung nicht ausschließt.
Seit dem 17. Jahrhundert wurde Kurisch allmählich durch Ehen und Kontakte mit dem Hinterland assimiliert und zurückgedrängt. Es bildete sich in einigen Regionen die Sitte, dass die Männer auf ihren Fischzügen Kurisch sprachen, zu Hause wurde dagegen Deutsch oder Litauisch gesprochen und viele Fachbegriffe der Seefischerei kamen in Preußen aus dem Kurischen, was die Klassifizierung als Soziolekt der Seefischer förderte. Allein in Fischerdörfern der Kurischen Nehrung blieb Kurisch bis zum Zweiten Weltkrieg allgemein verwendete Sprache. Im 19. Jahrhundert bildete sich deshalb die Bezeichnung „Nehrungskurisch“. Anfang der Zwanziger Jahre erhob Lettland kurzzeitig politische Ansprüche auf die abseits gelegene Nehrung, deren Sprache für lettische Besucher verständlich war. Mit der Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen wurde auch die nehrungskurische Bevölkerung, die auch Deutsch beherrschte, als „Deutsche“ nach Westen vertrieben oder flüchtete vorher.[2]
1945 gab es noch mindestens 245 Familien, die Kurisch sprachen. Nach der Vertreibung lebten die Muttersprachler in Deutschland. Im Jahr 2002 waren noch sieben Sprecher bekannt. Jedoch beziehen sich diese Daten auf nur eine Quelle.[3]
Richard Pietsch (1915–2007[4]), ehemals Pferdepostbote mit nur linker Hand am Einspänner, Versicherungsvertreter und später in der Bundeswehrverwaltung, galt 2001 als letzter Schreiber des Nehrungskurischen. Er kannte nur noch einen, ebenfalls alten Mann, der die Sprache sprach, jedoch nicht schrieb.[5]
Das Vaterunser auf Kurisch:
Teve mūses, kur tu es danguj,
Garbiets ir taue vards.
Lai nāke taue karelīste.
Taue vale nuoase duoade ka is dange, ta ir us zeme.
Mūse diene maize duoade mums šuoadiene.
Ir paduoade mums mūse kalte,
Ka ir mes paduoadame mūsams kaltejams.
Ir nevede mums is pajundijuma,
Islidze mums nu piktume.
Tad taue ir ta kareliste un ta sile un ta šviesibe
Nu amžu lidz amžu. Amen