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Eberhard Kranzmayer (* 15. Mai 1897 in Klagenfurt, Österreich-Ungarn; † 13. September 1975 in Wien) war ein österreichischer Sprachwissenschaftler, Dialektologe und Namenforscher. Als Professor an der Universität Wien und wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften prägte er lange Zeit die Wiener Schule der Dialektologie.

Eberhard Kranzmayer
Eberhard Kranzmayer

Leben


Der in Kärnten als Sohn eines Kupferschmiedes geborene Kranzmayer beteiligte sich nach seiner Teilnahme am Ersten Weltkrieg 1916–1918 und einer Tuberkulose auch am Kärntner Abwehrkampf und als Freikorps-Mitglied an den Kämpfen in Oberschlesien.[1] Er studierte dann an der Universität Wien Germanistik. 1923 wurde er im Corps Posonia recipiert.[2][3] 1933 habilitierte er sich in Wien bei Rudolf Much.[4] Als „ehemaliger Frontsoldat und dekorierter Abwehrkämpfer in Kärnten und Oberschlesien erblickte er in seinen wissenschaftlichen Arbeiten eine Fortsetzung des grenzdeutschen Volkstumskampfes.“[5] Ab 1926 bis 1933 arbeitete Kranzmayer halbjährlich bereits am Bayerischen Wörterbuch in München.[6] Er stellte in der Zeit des Austrofaschismus 1937 bereits einen Antrag auf Mitgliedschaft in der verbotenen NSDAP, aber Parteimitglied wurde er erst am 1. Juni 1940 (Mitgliedsnummer 8.061.495).[7][8] Er erwarb 1938 die Venia legendi als Dozent auch an der Universität München, wo er als „apl. Prof.“[9] nun der beamtete Leiter der Bayerischen Wörterbuchkommission wurde[6], die in jener Zeit am bis heute nicht fertiggestellten Bayerischen Wörterbuch arbeitete.

Als im Jahr 1941 Alois Meier-Kaibitsch[10], SS-Standartenführer und lokaler Leiter des RKFDV, den Plan ventilierte, in seiner Heimat Klagenfurt eine Forschungsstelle für Geschichte, Sprach- und Ortsnamenforschung einzurichten, wünschte sich der Kärntner Gauleiter und „Reichsstatthalter“ Friedrich Rainer, der eine Zusammenarbeit mit den Universitäten Wien und Graz ablehnte, ausdrücklich Prof. Kranzmeyer (sic!) von der Universität München als deren künftigen Leiter und schlug vor, „Leiter und Mitarbeiter des Institutes in das ‚Ahnenerbe‘ zu übernehmen, was von Fall zu Fall zu entscheiden wäre“.[11] Diese Forschungsstelle sollte die wissenschaftliche Basis eines „Rückdeutschungsprozes-ses“ (sic!) des „Oberkrainer Slowenentums“ schaffen und wissenschaftliche Argumente liefern, um im vom Deutschen Reich im April 1941 besetzten Slowenien das Bekenntnis der Bevölkerung zum Deutschtum zu stärken. Dabei sollte der Unterschied zwischen den angeblich deutschstämmigen, jedoch zur slowenischen Sprache gewechselten Oberkrainern im Gegensatz zu den angeblich rein slowenischen Unterkrainern herausgearbeitet werden.[12] Am Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung, dem 10. Oktober 1942, wurde dieses „Institut für Kärntner Landesforschung“ als Teil des SS-Ahnenerbes in Klagenfurt gegründet[13] und Eberhard Kranzmayer zu dessen Leiter bestellt, womit er auch SS-Mitglied wurde. Im selben Jahr wurde er außerordentlicher Professor in Graz[14] und im folgenden Jahr Korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.[15] Es entstand sein Werk über Die wichtigsten Kärntner Ortsnamen. In dieser Zeit kam es auch zu einer Kontroverse zwischen Kranzmayer und Bruno Schweizer, dem Vertreter der „Langobardentheorie des Zimbrischen“[16], über die genaue Ausrichtung der Dialektologie im Deutschen Reich.[17]

Nach 1945 erhielt Kranzmayer zunächst Berufsverbot wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP und zur SS.[18] Im Jahre 1949 wurde er erneut beim österreichischen Teil der Wörterbuchkommission eingestellt, die nun Teil der Österreichischen Akademie der Wissenschaften geworden war (heute Institut für Dialekt- und Namenlexika) und die in der Zwischenzeit von seiner ehemaligen Studentin Maria Hornung geleitet worden war.[19]

In den 1950er Jahren setzte Kranzmayer seine linguistischen und dialektologischen Forschungen fort und betrieb Feldforschung in Kärnten und im Burgenland. Ab 1958 widmete er sich den politisch etwas weniger sensiblen bairischen Sprachinseln in Norditalien (Zimbern). In diesem Jahr erhielt er auch einen Lehrstuhl am Germanistik-Institut der Universität Wien, und unter seiner Patronanz entstanden daraufhin eine Reihe von Doktorarbeiten zu regionalen dialektologischen Themen. Diese sind heute vor allem wegen ihrer empirischen Feldforschung eine wichtige Quelle; darunter jene Alois Brandstetters 1962. Im Jahr 1960 führte er den Begriff der Bairischen Kennwörter in die Dialektologie ein.

Im Jahr 1964 wurde er nach dem Ableben von Viktor Dollmayr[20] Leiter der Wiener Wörterbuchkanzlei, die am Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich (WBÖ) arbeitet. 1967 wurde er wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.[18] Im Jahr 1969 wurde er auch Mitglied im Kuratorium des „Instituts für Kartographie“. 1968 wurde Kranzmayer 73-jährig als Professor der Universität Wien emeritiert, hielt aber noch bis 1971 Vorlesungen. Der Druckauftrag von 1969 für seinen Dialektatlas Österreichs und seiner Nachbarländer wurde nie ausgeführt.[21]

Er starb 78-jährig am 13. September 1975 in Wien. Er wurde am Dornbacher Friedhof bestattet.[22]


Bedeutung


Eberhard Kranzmayer gilt heute als wichtiger Mundartforscher, Dialektgeograph und Namenforscher. Als Professor an der Universität Wien wurde er zum Doktorvater zahlreicher jüngerer Dialektologen und beeinflusste dadurch bis heute die Wiener Schule der Dialektologie. Seine empirischen Arbeiten stellen nach wie vor eine bedeutende Quelle für die Dialektologie und die etymologische Forschung dar, jedoch werden seine Deutungen und Interpretationen heute kritisch hinterfragt.

Besonders bei Kollegen aus dem Bereich der Slawistik stieß die Arbeit Kranzmayers oft auf Kritik – „… ideologisch gefärbt … überbetont den deutschen Einfluss auf das Slowenische …“[23] – und auch auf Ablehnung, nicht zuletzt deshalb, weil seine Ortsnamenforschung ganz reale politische Auswirkungen auch im Österreich der Zweiten Republik hatte (siehe Ortstafelstreit). Seine etymologischen Interpretationen und Annahmen werden heute ebenfalls differenzierter hinterfragt. Kranzmayer traf oft zu kurz gegriffene Aussagen und erklärte einen Ortsnamen voreilig als romanisch, keltisch, slawisch, bairisch, gemeingermanisch oder vorindoeuropäisch. Da diesem Forschungsbereich jedoch heute wenig Interesse entgegengebracht wird, werden die Arbeiten Kranzmayers mangels Existenz neuerer Studien heute noch oft zitiert und unreflektiert wiedergegeben.

Kranzmayer trat auch als scharfer Kritiker des ebenfalls aus Kärnten stammenden Matthias Lexer und dessen mittelhochdeutscher Etymologien auf. Er warf Lexer und dem von diesem im 19. Jahrhundert herausgebrachten Mittelhochdeutschen Handwörterbuch, das mittlerweile zu einem Standardwerk geworden war, vor, bei seinen Deutungen und Herleitungen zu wenig Rücksicht auf die südlichen Dialekte genommen und überhaupt falsche Aussagen gemacht zu haben. Mit seiner Kritik am Wörterbuch von Lexer hatte er zwar nicht Unrecht, doch waren seine alternativen Etymologien mitunter ebenso zweifelhaft.[24]

Das Germanistik-Institut der Universität Wien wie auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften haben zu Eberhard Kranzmayer, einem ihrer einflussreichsten „Altvorderen“, lange Zeit keine abschließende kritische Aufarbeitung seiner Person und seiner Arbeit betrieben. So wurde noch 1997 ein Dialektologie-Symposion zu Ehren seines 100. Geburtstags abgehalten.[25] Erst im Jahr 2001 veröffentlichte Peter Wiesinger, der Nachfolger am Lehrstuhl Kranzmayers, eine kritische Geschichte der Wiener Germanistik, in der auch die Rolle Kranzmayers hinterfragt wird.[26] In seiner Kärntner Heimat wird Kranzmayer bis heute sehr geschätzt. In Klagenfurt wurde eine Straße in der Nähe der Universität nach ihm benannt, und vom grünen Abgeordneten Reinhold Gasper wurde 2006 im Klagenfurter Gemeinderat der Antrag eingebracht, eine Gedenktafel für „den hervorragenden Sprachwissenschaftler Dr. Eberhard Kranzmayer“ an dessen Geburtshaus am Alten Platz Nr. 11 anbringen zu lassen.[27]


Veröffentlichungen



Literatur





Einzelnachweise


  1. Christoph König et al.: Internationales Germanistenlexikon 1800–1950. „IGL“, de Gruyter, Berlin-New York 2003, S. 1005.
  2. Kösener Corpslisten 1930, 134/45.
  3. Handbuch des KSCV, 1985; Horst Grimm/Leo Besser-Walzel, Die Corporationen, Frankfurt am Main 1986.
  4. Dissertation: Die deutschen Lehnwörter in der slowenischen Volkssprache.
  5. Michael Wedekind: Ethnisch-soziale Neuordnungskonzepte im besetzten Europa (1939–1945). In: Rainer Mackensen und Jürgen Reulecke (Hrsg.): Das Konstrukt „Bevölkerung“ vor, im und nach dem „Dritten Reich“ , Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, S. 371–386 (S. 377).
  6. Bayerisches Wörterbuch (München) (Memento des Originals vom 3. September 2009 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/grimm.adw-goettingen.gwdg.de
  7. Bundesarchiv R 4901/23117
  8. Uwe Baur & Karin Gradwohl-Schlacher. Literatur in Österreich 1938-1945. Handbuch eines literarischen Systems. Band 2: Kärnten. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2011, S. 155.
  9. Jörg Riecke: Das Internationale Germanistenlexikon und die Sprachgermanistik in der Zeit des Nationalsozialismus, S. 13.
  10. Michael Wedekind: Ethnisch-soziale Neuordnungskonzepte im besetzten Europa (1939–1945). In: Rainer Mackensen und Jürgen Reulecke (Hrsg.): Das Konstrukt „Bevölkerung“ vor, im und nach dem „Dritten Reich“ , S. 378, Anm. 30.
  11. Vermerk der Forschungs- und Lehrgemeinschaft „Das Ahnenerbe“ von der Besprechung über die Errichtung des Instituts für Kärntner Landesforschung. Dokument 207 (PDF-Datei; 78 kB) In: Quellen zur nationalsozialistischen Entnationalisierungspolitik in Slowenien 1941–1945 Nr. 207, Viri o raznarodovalni politiki v Sloveniji 1941–1945, zusammengestellt und erläutert von Tone Ferenc, Maribor 1980.
  12. karawankengrenze.at Dokument 148 – Vermerk der Forschungs- und Lehrgemeinschaft »Das Ahnenerbe« über eine Besprechung betreffend die Germanisierung in den besetzten Gebieten Kärntens und Krains und die Errichtung einer Forschungsstätte.
  13. Vermerk der Forschungs- und Lehrgemeinschaft „Das Ahnenerbe“ Anm.20 (PDF-Datei; 78 kB).
  14. Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. S. Fischer, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-10-039326-5, S. 334.
  15. Mitgliedseintrag von Eberhard Kranzmayer bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 1. Februar 2016.
  16. Bruno Schweizer: Die Herkunft der Zimbern, 1948 (Memento des Originals vom 21. Februar 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.beepworld.de.
  17. Bücherl Rainald: Die Kontroverse zwischen Eberhard Kranzmayer und Bruno Schweizer. Richtungweisende Dialektologie-Historie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts; 1994, Band 61, Nr. 3, Seiten 257–278; Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik ISSN 0044-1449
  18. diekelten.at Eberhard Kranzmayer (1897–1975) (Memento vom 23. Februar 2011 im Internet Archive) Artikel von Georg Rohrecker.
  19. Sprachinselverein.at Lebenslauf Maria Hornung (Memento des Originals vom 30. Juli 2007 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.sprachinselverein.at
  20. Biographie s.Internationales Germanistenlexikon 1800–1950, de Gruyter, Berlin 2003, S. 396f., mit Nachrufbelegen von Kranzmayer 1964/65.
  21. IGL 1800–1950, S. 1008.
  22. Eberhard Kranzmayer in der Verstorbenensuche bei friedhoefewien.at
  23. Helmut W. Schaller: Slawische Philologie. In: Frank-Rutger Hausmann: Die Rolle der Geisteswissenschaften im dritten Reich, 1933–1945 (= Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 53). Verlag Oldenbourg, München 2002, ISBN 3-486-56639-3, S. 265–280 (S. 276).
  24. Alois Brandstetter, Institut für Germanistik der Universität Klagenfurt: Zum Wortschatz der Müllerei in Lexers Wörterbüchern, In: Horst Brunner: Matthias von Lexer: Beiträge zu seinem Leben und Schaffen, Universität Würzburg, Franz Steiner Verlag, 1993, ISBN 3-515-06357-9, 248 Seiten.
  25. Österreichische Akademie der Wissenschaften Probleme der oberdeutschen Dialektologie und Namenkunde – Symposion aus Anlass des 100. Geburtstages von Eberhard Kranzmayer (Memento vom 16. September 2003 im Internet Archive)
  26. Germanistik – eine befangene Wissenschaft Rezension von Franz Krahberger über Peter Wiesinger/Daniel Steinbach: 150 Jahre Germanistik in Wien, Außeruniversitäre Frühgermanistik und Universitätsgermanistik, Edition Praesens, Wien 2001, ISBN 3-7069-0104-8.
  27. Die Grünen Klagenfurt, Reinhold Gasper Gedenktafel für den hervorragenden Sprachwissenschaftler (13. Dezember 2006).
Personendaten
NAME Kranzmayer, Eberhard
KURZBESCHREIBUNG österreichischer Sprachwissenschaftler, Dialektologe und Namenforscher
GEBURTSDATUM 15. Mai 1897
GEBURTSORT Klagenfurt
STERBEDATUM 13. September 1975
STERBEORT Wien



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