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Gerhard Heller (* 8. November 1909 in Potsdam; † 29. August 1982 in Baden-Baden) war ein deutscher Verleger und Übersetzer. Während des Zweiten Weltkriegs war er im besetzten Frankreich mit dem Dienstgrad eines Sonderführers (entspricht dem Leutnantsrang) für die Literaturpolitik der Besatzungsbehörden zuständig.


Leben


Gerhard Heller gehörte der Bündischen Jugend an. 1928 lernte er den ein Jahr älteren Horst Wessel bei einem Aufenthalt in einem Thüringer Jugendheim kennen. Wessel habe ihn danach einmal zu einer Hitler-Rede im Berliner Sportpalast eingeladen. Nach dem Abitur studierte er von 1930 bis 1935 Germanistik, Romanistik und Geschichte in Berlin, Heidelberg, Pisa und Toulouse. Reisen führten ihn nach Italien, Frankreich und Skandinavien. Zum 1. Februar 1934 trat er der NSDAP bei (Mitgliedsnummer 3.402.212).[1] 1935–1940 wurde er Referatsleiter Wort beim Deutschen Kurzwellensender Berlin. Ende Oktober 1940 wurde Heller nach dem Frankreichfeldzug zur Propaganda-Staffel beim Militärbefehlshaber Frankreich (MBF) nach Paris einberufen, wo er in der Gruppe Schrifttum tätig war[2]. Seine Vorgesetzten waren Major (später Oberstleutnant) Heinz Schmidtke und Arbeitsführer Schulz[3][4]. Im Juli 1942 wurden mehrere Abteilungen der Propagandastaffel an die Deutsche Botschaft abgegeben – auch die Schrifttumabteilung. Dort arbeitete Heller als Referatsleiter Literatur. Ihm stand auch ein Büro im Deutschen Institut Paris zur Verfügung, das für kulturpolitische Fragen zuständig war und von Karl Epting geführt wurde.

Heller war in Paris mit dem Dienstgrad eines Sonderführers (entspricht dem Leutnantsrang) für die Literaturpolitik der Besatzungsmacht zuständig, dazu gehörte auch die Zensur und die Papierzuteilung für den Buchdruck. Heller war die Zentralstelle für die Buchzensur in Frankreich, die ihren Bezugspunkt in der nach Otto Abetz benannten „Otto-Liste“ hatte, die am 28. September 1940 in der ersten Version erstellt wurde[5]. In ihr wurde auch die Literatur der deutschen Emigranten und auch der deutschen Juden aufgeführt. In einer dritten Version wurden auch die französischen Autoren jüdischer Herkunft aufgeführt. Heller und Botschafter Abetz gelang es, die kollaborierenden französischen Verleger zur Selbstzensur zu überreden.

In seinen Memoiren stellte Heller es so dar, dass er relativ liberal agiert habe. Mit seiner Erlaubnis seien Werke von Albert Camus, Jean-Paul Sartre und Louis Aragon erschienen. In der neueren Fachliteratur wird hervorgehoben, dass es darum gegangen sei, den Franzosen die Fiktion eines funktionierenden Kulturlebens vorzuführen, obwohl ihr Land von den Deutschen besetzt war.[6] Katrin Engel hielt Heller vor, er hätte den Einsatz der Propagandastaffel in Paris als eine Urlaubsreise von gebildeten Liebhabern der französischen Kultur dargestellt. Jüdische und nicht nazistische Autoren ließ er jedenfalls nicht publizieren. Selbst nach eigener Aussage war Heller damals Antisemit.[7]

Als die Arisierung der jüdisch-französischen Verleger zu einer Öffnung geführt hatte, schlug Heller dem deutschen Auswärtigen Amt vor, Aktien des jüdischen Verlegers „Ferenczi und Nathan“ zu erwerben. Heller nahm es sogar selbst auf sich, die Veröffentlichung jüdischer Schriftsteller zu verbieten, obwohl der Militärbefehlshaber (MBF) zu diesem Zeitpunkt noch keine solche Anordnung befohlen hatte (zuerst hatten nur ausgewählte deutsche und nicht-französische jüdische Schriftsteller Publikationsverbot). Am Anfang 1941 erklärte Heller dem französischen Verleger gegenüber, dass, obwohl es kein offizielles Publikationsverbot gäbe, es nicht „zeitgemäß“ wäre, die Werke jüdischer Schriftsteller zu veröffentlichen.[8]

Ab Dezember 1940 ermöglichte Heller auch das Wiedererscheinen der unter Pierre Drieu la Rochelle nunmehr antisemitischen Nouvelle Revue Française.

Heller organisierte die zwei Reisen französischer Schriftsteller zum Europäischen Dichtertreffen nach Weimar. Dabei kam es Goebbels darauf an, den französischen Schriftstellern die Überlegenheit Deutschlands zu demonstrieren und Interesse an der französischen Kultur vorzuspielen. Bei der ersten Reise absolvierten die französischen Schriftsteller eine Rundfahrt durch Deutschland, bei der ihnen die wichtigsten Sehenswürdigkeiten vorgeführt wurden. Sie wurden von hohen Würdenträgern zu Festessen eingeladen und durften das Amtszimmer Hitlers in der Reichskanzlei besichtigen. Goebbels gab einen Empfang zu ihren Ehren.

Aus der Besatzungszeit resultierte Hellers lang andauernde Bekanntschaft mit den ebenfalls beim MBF beschäftigten Carlo Schmid und Ernst Jünger. Laut Jüngers Tagebucheinträgen, die nach dem Krieg unter dem Titel Strahlungen veröffentlicht wurden, bestand ein reger Kontakt mit Heller. Er traf Heller zum ersten Mal am 1. Februar 1942 und zum letzten Mal am Tag des Abzugs aus Paris am 13. August 1944, dazwischen mindestens sechsmal im Jahr 1942 und in den folgenden Jahren bis zum Abzug aus Paris mindestens 13 weitere Male. Heller stellt es in seinen Memoiren so dar, dass er und Jünger die Judenverfolgungen missbilligten:

Über dieses Thema haben wir häufig diskutiert, denn Jünger verfügte über präzise Informationen, die ihm sowohl von dem im Tagebuch häufig erwähnten >>Präsidenten<<, als auch von hochrangigen Militärs wie Oberst Schaer oder Oberst Speidel zugingen. Die Beschreibungen von Judenerschießungen oder von den >>großen Schinderhütten, die in den östlichen Randstaaten errichtet worden sind<<, ließen uns beide vor Entsetzen erzittern.[9]

Nach der Kapitulation stellte Heller sich der französischen Besatzungsmacht zur Verfügung. Er war als Vermittler tätig, wenn Unternehmen Angelegenheiten mit französischen Behörden zu regeln hatten. Hier wurde er mit dem Besatzungsoffizier Pierre Grappin bekannt, der ihn zu einer Mitarbeit bei der Zeitschrift „Lancelot. Der Bote aus Frankreich“ einlud. Unter der Herausgeberschaft von Jacqueline Grappin, der Ehefrau des Offiziers, gehörte er von 1946 bis Mitte 1947 mit Hans Paeschke in Baden-Baden der Redaktion der Zeitschrift an. 1947 gründete er mit Christian Wegner den Heller & Wegner-Verlag Baden-Baden und die Zeitschrift Merkur. Zeitschrift für Europäisches Denken, die er mit Paeschke führte.[10] Ab 1950 war Heller mit Ingeborg Stahlberg und Ernst Krawehl gleichberechtigter Gesellschafter des 1946 von Ingeborg Stahlberg gegründeten Stahlberg Verlags in Karlsruhe. Der Stahlberg Verlag publizierte wichtige Autoren der Moderne wie Arno Schmidt, Curzio Malaparte, Raymond Queneau und – im zum Verlag gehörenden Amadis-Verlag – Marguerite Yourcenar. Als der Stahlberg Verlag 1970 verkauft wurde, machte sich Heller als freier Übersetzer und Verlagsberater selbständig.

Heller übersetzte meist aus dem Französischen, gelegentlich auch aus dem Italienischen und Englischen. In den 1970er Jahren übersetzte er Bücher von Kollaborateuren wie Louis-Ferdinand Céline und Pierre Drieu la Rochelle, die er persönlich gekannt hatte.[11] Seine meistgelesene Übersetzung ist wahrscheinlich Patrick Modianos Roman Die Gasse der dunklen Läden (Rue des Boutiques Obscures) aus dem Jahr 1979.[12]

Heller erhielt 1980 den von der Baden-Badener Bäder- und Kurverwaltung gestifteten Deutsch-Französischen Übersetzerpreis[13] und den „Prix du Rayonnement de la Langue Française“ der Académie française.

Am 20. Juli 2010 gab es eine Veranstaltung der Deutsch-Französischen Gesellschaft Baden-Baden mit einem Vortrag über Heller.[14] Jean d’Ormesson, der eingeladen war, aber nicht anwesend sein konnte, schrieb für diese Veranstaltung eine Apologie Hellers: „Es könnte keine bessere Wahl sein als eine, die auf Gerhard Heller fiel und ich bin damit sehr zufrieden. Ich kannte und liebte Gerhard Heller … Er ist gut bekannt und geschätzt in Frankreich und erscheint in vielen Erinnerungen und Gedenkschriften. In den dunklen Jahren der Besatzung hat er zahlreiche Dienstleistungen für viele Schriftsteller erbracht… Ich bleibe seinem Gedächtnis treu.“[15]


Autobiografie



Literatur



Übersetzungen





Einzelnachweise


  1. Siehe Fragebogen für Mitglieder der 'Reichsfachschaft Rundfunk'. Abgebildet bei Dufay, Die Herbstreise, S. 11
  2. Eingeführt wurde er von Friedhelm Kaiser, u. a. Schriftleiter und Mitarbeiter bei Ahnenerbe, siehe DNB
  3. „Arbeitsführer Schulz, Leiter der Gruppe Schrifttum der Propagandaabteilung“, Michels, Das Deutsche Institut, S. 236
  4. aus dem Propagandaministerium war Generalkonsul Wilhelm Knothe abgestellt
  5. „Ouvrages retirés de la vente par les éditeurs ou interdits par les autorités allemandes“
  6. Katrin Engel: Deutsche Kulturpolitik im besetzten Paris 1940–1944: Film und Theater. Oldenbourg, München 2003, S. 4ff und S. 230.
  7. Gerhard Heller: In einem besetzten Land. NS-Kulturpolitik in Frankreich – Erinnerungen 1940-1944. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1982, ISBN 3-462-01521-4, S. 121 ff.
  8. Philippe Burrin: France under the Germans (fr. La France à l'Heure Allemande), The New Press, New York 1996, Seite 327. Quellen Burrins: Heller, Arbeits und Lagebericht, 20. März 1942; Für das Tätigkeitsbericht, 27. Dezember 1941; Tatigkeitsbericht vom 17. Mai bis 23. Mai 1941; Tätigkeitsbericht vom 15. bis 22. Januar 1941. Archives Nationales, Paris. AJ 40 1005, dr. 7.
  9. Gerhard Heller: In einem besetzten Land. NS-Kulturpolitik in Frankreich – Erinnerungen 1940-1944. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1982, ISBN 3-462-01521-4, S. 200.
  10. Michael Klein: Weckruf für ein ´desorientiertes´ Deutschland. Die Zeitschrift Lancelot und ihr Buchverlag 1946-1951. Marginalien, 237. Quartus-Verlag, Bucha 2020 ISSN 0025-2948 S. 54ff.
  11. Gerhard Heller: In einem besetzten Land. NS-Kulturpolitik in Frankreich – Erinnerungen 1940-1944. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1982, ISBN 3-462-01521-4, S. 183 ff. bzw. S. 59 ff.
  12. – Sechs Briefe Hellers an Modiano, aus 1979 bzw. 1981, in: Maryline Heck, Raphaëlle Guidé (Redaktion), Patrick Modiano, Les Cahiers de l'Herne, 2012, S. 206–209.
  13. Laut einer Mitteilung am 12. Dezember 2011 von einem Mitarbeiter der Deutsch-Französischen Gesellschaft Baden-Baden hat die Stadt Baden-Baden von 1976 bis 1984 diesen Preis verliehen mit einer Dotation von 2000 DM. Nach 1984 wurde der Preis nicht mehr verliehen. Hellers Freund Carlo Schmid war der erste Preisträger 1976; außer den beiden erhielten zwei weitere relativ unbekannte Personen den Preis.
  14. Siehe Veranstaltung der Deutsch-Französischen Gesellschaft Baden-Baden.
  15. Schreiben im Mai 2010 von Jean d'Ormesson an die Schriftstellerin Madeleine Klümper-Lefebvre von der DFG, aus dem Französischen übersetzt, Dezember 2011: „Il ne pouvait y avoir de meilleur choix que celui qui s'est porté sur Gerhard Heller et je m'en suis profondément réjoui. J'ai bien connu et beaucoup aimé Gérard Heller... Il est très connu et apprécié en France et apparaît dans beaucoup de souvenirs et de mémoires. Dans les années noires de l'Occupation, il a rendu beaucoup de services à beaucoup d'écrivains... je reste fidèle au souvenir de Gerhard Heller.“ Eig. Übers.
Personendaten
NAME Heller, Gerhard
ALTERNATIVNAMEN Heller, Gerard
KURZBESCHREIBUNG deutscher Verleger und Übersetzer
GEBURTSDATUM 8. November 1909
GEBURTSORT Potsdam
STERBEDATUM 29. August 1982
STERBEORT Baden-Baden



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