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Julio Florencio Cortázar (* 26. August 1914 in Brüssel; † 12. Februar 1984 in Paris) war ein argentinisch-französischer Schriftsteller und Intellektueller und neben Jorge Luis Borges einer der bedeutendsten Autoren der phantastischen Literatur. Da seine Texte die Grenzen zwischen Realität und Fiktion ausloten, werden sie mit dem Surrealismus in Verbindung gebracht. Laut seiner eigenen Tunnel-Theorie verwendet Cortázar jedoch lediglich homöopathisch dosierte surrealistische Elemente, um damit die Grenzen der alltäglichen Realität zu sprengen.

Julio Cortázar im Jahre 1967
Julio Cortázar im Jahre 1967

Leben


Julio Cortázars Vater war Argentinier und Handelsattaché an der argentinischen Botschaft in Brüssel (das zum Zeitpunkt seiner Geburt von Deutschen besetzt war). Die Familie zog 1916 in die Schweiz, dann nach Barcelona und kehrte schließlich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als der Sohn vier Jahre alt war, in einen Vorort von Buenos Aires zurück. Cortázars zweite Ehefrau, Ugnė Karvelis, bezeichnet die Atmosphäre jener Zeit als prägend für viele der Erzählungen Cortázars:

„Nach Argentinien zurückgekehrt, wächst er in einem kleinbürgerlichen Vorort von Buenos Aires auf, umgeben von Frauen. Der Vater hat die Familie verlassen und kein Lebenszeichen mehr gegeben. Die Mutter hat eine kleine Anstellung in einem Büro gefunden, die Großmutter hält im Garten Hühner und Kaninchen. All das reicht nicht aus, um Julio und seiner älteren Schwester das Lebensnotwendige zu sichern. An jedem Monatsende fragt man sich, ob man besser den Apotheker oder den Lebensmittelhändler bezahlen soll.

Der kränkelnde Junge flüchtet sich in die Welt der Phantasie. Er verschlingt Bücher, alle Bücher. Angefangen von den Familienalmanachen und Jules Verne – den er sein ganzes Leben lang verehren wird – bis hin zu gotischen Romanen, über Edgar Allan Poe, die französische Literatur und die Poesie der ganzen Welt. Bemüht seiner Mutter zu helfen, macht er sich daran, Spaghetti zu pflanzen, und ist bekümmert, weil sie nicht wachsen ...“[1]

Cortázar studierte an der Universidad de Buenos Aires, wurde 1937 als Lehrer in einer Kleinstadt in der Provinz Buenos Aires eingestellt. Mitte der 1940er Jahre wurde er Professor für französische Literatur an der Universität Cuyo in Mendoza.

1951 emigrierte Cortázar in Opposition zum Regime Juan Peróns nach Frankreich, wo er bis zu seinem Tod lebte. Ab 1952 arbeitete er für die UNESCO als Übersetzer. Er übertrug unter anderem Robinson Crusoe und die Erzählungen Edgar Allan Poes ins Spanische, wobei der Einfluss Poes auch auf sein originäres Werk spürbar ist.

In seinen späten Jahren änderte er seinen politischen Standpunkt, engagierte sich aktiv bei linksgerichteten Gruppierungen in Südamerika und unterstützte die kubanische Revolution. Im Oktober 1979 reiste er nach Nicaragua und unterstützte die sandinistische Regierung. Einige seiner Texte wurden bei der Alphabetisierungskampagne verwendet.

Am 24. Juni 1981 verlieh ihm die Regierung von François Mitterrand in einem ihrer ersten Dekrete die französische Staatsbürgerschaft.

Cortázar starb 1984 an Leukämie, wobei auch angenommen wurde, dass eine Bluttransfusion vor der Identifizierung des HI-Virus AIDS die tatsächliche Todesursache gewesen sein könnte.

Cortázar war dreimal verheiratet: von 1953 bis 1967 mit der argentinischen Übersetzerin Aurora Bernárdez, von 1967 bis 1979 mit der litauischen Schriftstellerin und Übersetzerin Ugnė Karvelis (1935–2002), die in den 1990er Jahren UNESCO-Vertreterin Litauens war, und von 1979 bis zu ihrem Tod mit der Kanadierin Carol Dunlop (1946–1982).


Schaffen


Cortázar gilt vor allem als Verfasser meisterhafter Kurzgeschichten, insbesondere des phantastischen Genres (siehe etwa Bestiario (1951), Axolotl, Die Nacht auf dem Rücken, Das besetzte Haus und Final de Juego (1956)). Er veröffentlichte aber auch Romane, von denen einige große Bedeutung für die spanischsprachige Literatur des 20. Jahrhunderts erlangten, wie etwa Rayuela (1963), das zu den Auslösern des lateinamerikanischen Booms gehörte, und Libro de Manuel (1973). Der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa bezeichnete ihn als Vorbild und Mentor.[2]

Er schrieb auch Theaterstücke, Gedichte und Tangos, konnte aber mit ihnen keine vergleichbaren Erfolge erzielen.

Cortázars Stärken als Autor bestehen in seinem reizvollen und respektlosen Humor, seinen eindrucksvollen technischen Fähigkeiten, seinem poetischen und neuartigen Sprachgebrauch und der sorgfältig ausbalancierten Entwicklung des Unheimlichen in seinen Kurzgeschichten.

Cortázar selbst hat das Spielerische und den Humor als ein Grundmotiv seines Schreibens verstanden:

„Der Humor und das Ludische sind eine Konstante in meinen Texten, seit ich schreibe. Das erscheint zweifellos paradox, denn meine Erzählungen sind niemals fröhlich. Sie sind viel eher tragisch oder dramatisch. Sie sind der Nacht näher als dem Tag. Das Ludische tritt in ihnen jedoch in anderen Formen zutage. Noch die dramatischsten Erzählungen sind von einem musikalischen Rhythmus geleitet, was natürlich nicht bedeutet, dass sie musikalische Rhythmen imitieren. Für mich hat die Sprache einen Rhythmus, so etwas wie einen Herzschlag.“[3]

In Cortázars Erzählungen entwickelt sich eine Dynamik, die nicht aus Action oder einer Krimi-Handlung resultiert,[4] sondern die dem Verlauf von Krisen entspricht, die sich immer weiter zuspitzen und dabei den Leser in diese Handlung hineinziehen.[5]

Insbesondere Cortázars Erzählungen beschreiben Situationen der modernen Alltagsrealität auf sehr präzise und plastische Weise[4] – jedoch ohne sich dabei in Trivialitäten zu verlieren. Im Gegenteil ist Cortázar verschiedentlich der Vorwurf eines elitären und hermetischen Schreibstils gemacht worden.[6] So entsteht in den Texten Cortázars eine „Mischung aus Alltags- und literarischer Sprache, die uns vor Uhrwerke von Armbanduhren stellt, in von Touristen überfüllte Hotels, und uns mit dem konfrontiert, was einem durch den Kopf geht, während man in einem ewigen Stau auf der Autobahn steht.“[7]

Es ist ein Kennzeichen von Cortázars Texten, dass die Realität des Alltags zwanglos in die Realität des Phantastischen hinübergleitet, so als würden die alltäglichen Verhältnisse „einem verborgenen Druck“ nachgeben, „der sie zum Wunderbaren treibt und sie, ohne sie voll einstürzen zu lassen, in einer Art gespanntem, verwirrenden Zwischenbereich schweben lässt, in dem das Wirkliche und das Phantastische sich überlagern, ohne sich zu vermischen.“[8] Das Wirkliche ist für Cortázar nicht eindimensional, sondern „porös und flexibel“,[9] das Phantastische eine Folge der Weigerung, die bestehenden Verhältnisse als gottgegeben und unveränderlich zu akzeptieren:

„Ich suchte immer nach dem Außergewöhnlichen, nach den Zwischenräumen zwischen zwei Dingen. Als ich zu schreiben begann, waren es diese Zwischenräume, von denen ich sprach. In allem, was ich schreibe, steckt immer die Aufforderung, die Dinge nicht als gültig, als zwangsläufig zu akzeptieren, und das ist es, was meiner Literatur den Charakter des Phantastischen gibt.“[10]

Seit 1986 unternahm es der spanische Verlag Alfaguara, eine Gesamtausgabe Cortázars herauszugeben. In der Biblioteca Cortázar erschienen auch bisher unveröffentlichte Werke wie El Examen und Divertimento.


Werke



Postum



Sammelbände



Verfilmungen



Zeugnisse


„Eine Prosa, die die Sprache hüpfen, tanzen und fliegen lässt.“

Octavio Paz

„Wer diese Erzählungen nicht liest, ist verloren. Sie nicht zu lesen ist eine schwere, schleichende Krankheit, die mit der Zeit schreckliche Folgen haben kann. Ähnlich wie jemand, der nie einen Pfirsich gekostet hat. Er würde langsam melancholisch werden und immer blasser, vielleicht würden ihm nach und nach die Haare ausfallen.“

Pablo Neruda

„Mit diesem Julio Cortázar konnte man zwar befreundet sein, nie aber eine engere Beziehung eingehen. Die Distanz, die er mit Hilfe eines Systems aus Höflichkeiten und Regeln aufrechtzuerhalten verstand, an die man sich halten musste, um seine Freundschaft zu bewahren, gehörte zum Zauber der Person: sie umgab ihn mit dem Nimbus eines gewissen Mysteriums, verlieh seinem Leben eine geheime Dimension, die sich wie die Quelle der beunruhigenden, irrationalen und wilden Unterströmung ausnahm, die bisweilen selbst noch in seinen ausgelassensten und heitersten Texten durchschien.“

Mario Vargas Llosa[11]

„Ich hatte Bestiarium, seinen ersten Erzählband, in einem billigen Hotel in Barranquilla gelesen, wo ich für eineinhalb Pesos zwischen schlecht bezahlten Balljungen und glücklichen Huren schlief, und schon nach der ersten Seite war mir klar geworden, dass ich es mit einem Schriftsteller zu tun hatte, wie ich einmal einer werden wollte, wenn ich groß sein würde.“


Tonträger



Literatur




Commons: Julio Cortázar – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise


  1. Ugné Karvelis: Ein Cronopium. Das Eine immer und immer das Andere (übersetzt von Elke Wehr), in: Freibeuter, Nr. 20, Berlin 1984, S. 44, ISSN 0171-9289
  2. Julio Cortazar: Die Nacht auf dem Rücken. 6. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main, S. 3.
  3. Jean Montalbetti: Erzählen Sie von Ihrem Doppelgänger, Herr Cortázar! Interview mit Julio Cortázar (übersetzt von Elke Wehr), in: Freibeuter, Nr. 20, Berlin 1984, S. 56, ISSN 0171-9289
  4. Dagmar Ploetz: Das ungewisse Ich. Julio Cortázars Erzählungen „Der Verfolger“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Juli 1979.
  5. Karsten Garscha, Klappentext, in: Julio Cortázar: Bestiarium. Erzählungen, übersetzt von Rudolf Wittkopf, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1979 (1. Auflage)
  6. Ugné Karvelis: Ein Cronopium. Das Eine immer und immer das Andere (übersetzt von Elke Wehr), in: Freibeuter, Nr. 20, Berlin 1984, S. 43, ISSN 0171-9289
  7. Gloria Susana Esquivel: Gebrauchsanweisung für Cortázar, Januar 2014, (übersetzt von Kathrin Dehlan)
  8. Mario Vargas Llosa: Vorwort – Die Trompete von Deyá (übersetzt von Elke Wehr), in: Julio Cortázar: Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen, Band 1, übersetzt von Rudolf Wittkopf und Wolfgang Promies, Frankfurt am Main 1998, ISBN 3-518-39416-9, S. 10.
  9. Ute Stempel: Julio Cortázar – Ruhelos, in: Die Zeit, 17. Februar 1984.
  10. Jean Montalbetti: Erzählen Sie von Ihrem Doppelgänger, Herr Cortázar!. Interview mit Julio Cortázar (übersetzt von Elke Wehr), in: Freibeuter, Nr. 20, Berlin 1984, S. 53, ISSN 0171-9289
  11. Mario Vargas Llosa: Vorwort – Die Trompete von Deyá (übersetzt von Elke Wehr). In: Julio Cortárzar: Die Nacht auf dem Rücken. Die Erzählungen. Band 1, übersetzt von Rudolf Wittkopf und Wolfgang Promies. Frankfurt am Main 1998
  12. Gabriel García Márquez: Der Argentinier der es fertig brachte, dass alle ihn liebten. In: Freibeuter, Nr. 20, Berlin 1984, ISSN 0171-9289
Personendaten
NAME Cortázar, Julio
ALTERNATIVNAMEN Cortázar, Julio Florencio (vollständiger Name)
KURZBESCHREIBUNG argentinischer Schriftsteller
GEBURTSDATUM 26. August 1914
GEBURTSORT Brüssel
STERBEDATUM 12. Februar 1984
STERBEORT Paris

На других языках


- [de] Julio Cortázar

[en] Julio Cortázar

Julio Florencio Cortázar[1] (26 August 1914 – 12 February 1984; American Spanish: [ˈxuljo korˈtasar] (listen)) was an Argentine, nationalized French novelist, short story writer, essayist, and translator. Known as one of the founders of the Latin American Boom, Cortázar influenced an entire generation of Spanish-speaking readers and writers in America and Europe.

[es] Julio Cortázar

Julio Florencio Cortázar (Ixelles, 26 de agosto de 1914-París, 12 de febrero de 1984) fue un escritor y traductor argentino; este último oficio lo desempeñó para la Unesco y varias editoriales.[2] Sin renunciar a su nacionalidad argentina, optó por la francesa en 1981, en protesta contra la dictadura militar en su país,[3][4][5] que lo persiguió y prohibió y que él denunció a la prensa internacional desde su residencia en París.[6]

[ru] Кортасар, Хулио

Ху́лио Корта́сар (исп. Julio Cortázar; наст. имя Жюль Флоре́нсио Корта́сар (исп. Jules Florencio Cortázar); 26 августа 1914 — 12 февраля 1984) — аргентинский прозаик и поэт, живший и работавший преимущественно в Париже. Автор рассказов с элементами бытовой фантастики и магического реализма, а также двух сложно организованных антироманов — «Игра в классики» и «62. Модель для сборки».



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