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Jörg Walter Paul Schröder (* 24. Oktober 1938 in Berlin; † 13. Juni 2020 ebenda[1]), der auch die Pseudonyme Walter Paul und Hari Beaux benutzte, war ein deutscher Verleger, Schriftsteller, Buchgestalter und Grafikdesigner.

Jörg Schröder auf der Frankfurter Buchmesse 2018
Jörg Schröder auf der Frankfurter Buchmesse 2018

Leben und Wirken


Jörg Schröder am Platz des 18. März in Berlin, 2009
Jörg Schröder am Platz des 18. März in Berlin, 2009

Jörg Schröder wuchs in Berlin-Niederschönhausen auf. Seine Mutter trennte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von ihrem Ehemann und versuchte, in die USA auszuwandern. 1948 ging die Familie aus Berlin fort, aber die Auswanderung scheiterte und sie lebten zunächst in Rinteln an der Weser. Jörg Schröder ging dort zur Oberschule für Jungen, bis er zur neuen Familie seines Vaters nach Bonn zog. Er besuchte das Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium (II), das er vor dem Abitur verließ. Er wurde Buchhandelslehrling in der Schrobsdorff’schen Buchhandlung an der Kö in Düsseldorf.


Melzer Verlag


Schröder arbeitete danach als Werbeassistent im Westdeutschen Verlag in Opladen und in der Werbeagentur Dr. Lorenz & Bogo in Bensberg-Refrath. Von 1962 bis 1964 war er Leiter der Werbe- und Presseabteilung bei Kiepenheuer & Witsch in Köln. Er erarbeitete sich Kenntnisse als Grafiker und Typograf. 1965 trat Schröder in den Melzer Verlag in Darmstadt ein und sanierte den u. a. wegen einer unverkäuflichen Ludwig-Börne-Ausgabe (1964/'68) überschuldeten Verlag. Tätig war er als Verlagschef, Lektor, Hersteller, Vertriebs- und Werbemann in einer Person. Schröder erweiterte das auf Judaica spezialisierte Verlagsprogramm um Belletristik und politisches Sachbuch. Er veröffentlichte Victor Klemperers Lingua Tertii Imperii und junge deutsche Autoren wie Bazon Brock, Peter O. Chotjewitz und Gunter Rambow oder Dieter Hülsmanns, einige Bücher von Leroi Jones, Jack Kerouac, Michael Rumaker und die Beat- und Underground-Lyrik-Anthologie Fuck You. Schröder schätzte niederländische Autoren wie Andreas Burnier, Jan Cremer, Esteban López, W. F. Hermans, Hugo Raes oder Jeroen Brouwers und gab revolutionäre Texte von Fidel Castro und Che Guevara heraus. Der kommerzielle Erfolg war der sadomasochistische Roman Die Geschichte der O, von der Melzer als gebundenes Buch mehr als 100.000 Exemplare verkaufte.

1968 plante Schröder, eine deutsche Olympia Press zu gründen. Er akquirierte die Titel des New Yorker Verlages von Maurice Girodias. Im März 1969 kam es zu Auseinandersetzungen mit Joseph Melzer, der (nach Schröders Darstellung in Siegfried) ältere Zusagen zurücknahm und den Verlagsleiter Jörg Schröder weder am Verlag noch am Umsatz beteiligen und auch keine deutsche Olympia Press verlegen wollte. Schröder wurde fristlos gekündigt, ebenso den Angestellten, die sich mit ihm solidarisiert hatten. Auch Schröders Autoren wechselten – bis auf Ausnahmen – zum März Verlag.


März Verlag


Im März 1969 gründete Jörg Schröder daher als Komplementär mit den ehemaligen Angestellten des Melzer Verlags – Peter Beitlich (Vertrieb), Anne Hansal (Sekretariat) und Adolf Heinzlmeier (Herstellung) als Kommanditisten sowie später Karl Dietrich Wolff (politisches Lektorat) – die März Verlag Jörg Schröder KG in Darmstadt sowie etwas später die Olympia Press GmbH. Die meisten Autoren waren von Melzer zum März Verlag gewechselt. Jörg Schröder hatte mit Zustimmung von Maurice Girodias die deutsche Olympia Press gegründet, für die er ein neues Erscheinungsbild entworfen hatte. Den März-Auftritt mit dem gelb-rot-schwarzen Corporate Design entwarf Schröder selbst.

Als „denkwürdigsten und wichtigsten März-Titel“ bezeichnete Schröder in späteren Jahren das Aufklärungsbuch Sexfront von Günter Amendt, „weil es eine ganze Generation glücklicher machte.“ Man hatte sich auf einen besonders niedrigen Verkaufspreis geeinigt, und Schröder ging bei 400.000 Exemplaren von zwei Millionen Lesern aus. Auch seien Amendts Botschaften „der autonomen Verantwortung im Sexuellen, der Integration von Sexualität und Zärtlichkeit, der sexuellen Gleichheit von Mann und Frau“ vielfach durch die Medien multipliziert worden.[2]

Ökonomisch wurde die Gründung und Finanzierung von März und Olympia Press durch die hohen Auflagen der Olympia-Press-Erotica ermöglicht, die auch mit ihrem späteren, überwiegend pornographischen Programm in Deutschland bei der Kritik von ihrem Ruf als Verlag verfemter Autoren wie Samuel Beckett, Henry Miller, William S. Burroughs, Jean Genet und Vladimir Nabokov profitieren konnte. Inhaltlich war das März-Programm vor allem der „Originalität, de[m] künstlerische[n] Instinkt und ganz und gar undogmatische[n] Geist“[3] des Verlegers Jörg Schröder zu verdanken. KD Wolff war Verlagslektor von 1969 bis 1970, Ralf-Rainer Rygulla von 1969 bis 1971.

Weil ein vorgesehenes Mitbestimmungsmodell nicht funktionierte, schieden 1971 alle wichtigen und am Verlag beteiligten Kommanditisten (Peter Beitlich, Anne Hansal, Adolf Heinzlmeier und Karl Dietrich Wolff) mit Abfindungen aus dem Verlag aus. 1973 war der erste März Verlag am Ende. Als Schröder auch die Zusammenarbeit mit Maurice Girodias aufkündigte (Schröder erzählt) und ihm nach einem Rechtsstreit die Rechte an der Olympia Press zurückgeben musste, war der Konkurs unvermeidlich. Schröder musste Konkurs anmelden und haftete mit seinem gesamten Vermögen. Diese erste Phase des März Verlags endete 1973.


Neuer März Verlag und Blogger


Jörg Schröder und Barbara Kalender auf der Buchmesse in Frankfurt 2018
Jörg Schröder und Barbara Kalender auf der Buchmesse in Frankfurt 2018

1974 wurde das Unternehmen in der Rechtsform einer GmbH neu gegründet, Zweitausendeins übernahm den Vertrieb. Diese Zusammenarbeit hielt sechs Jahre, dann kündigte Schröder sie wegen inhaltlicher und ökonomischer Differenzen auf. Seit 1981 arbeitete Schröders Lebensgefährtin Barbara Kalender mit im Verlag. 1982 konnte das Programm wieder im Buchhandel vertrieben werden. 1987 erlitt Jörg Schröder jedoch zwei Herzinfarkte, der Verlag musste liquidiert werden. Das umfangreiche Verlagsarchiv, das das Deutsche Literaturarchiv Marbach übernahm, gehört zu den meistbenutzten Archiven zur Geschichte der deutschen Nachkriegsliteratur und der 68er-Bewegung.

Neben seiner Tätigkeit als Verleger, Buchgestalter und Schriftsteller trat Jörg Schröder mit zahlreichen Aktionen hervor. Unter anderem gründete er 1970 in Genf als S.A. und in Frankfurt a. M. als GmbH die Bismarc Media. Diese kryptische Agentur sollte weder anschlussfähige Konzepte entwickeln, noch Kundenaufträge ausführen. Einziger Sinn war die Einführung einer induktiven Krise, die den Bann des reinen Profitdenkens brechen sollte.

Zusammen mit Kalender entwarf Schröder die März-Stände für die Frankfurter Buchmesse, darunter vor allem den Bücherberg. Eine weitere Aktion, die er mit Kalender organisierte, war der März-Rettungsdienst von Barbara Kalender. Clou der Aktion war der Schuhe putzende Verleger auf der Buchmesse.[4] Der Aufmerksamkeitswert dieser Aktion war beachtlich, jedoch reichten die damit erzielten Umsätze nicht zur Sanierung aus, der Verlag musste 1987 liquidiert werden.

Seine gemeinsamen Aktionen mit Kalender hatten zum Ziel, das Geschäftliche an und in der Kultur hervorzukehren oder die Praxis der Judikatur ad absurdum zu führen (Forensic Art). In diesem Zusammenhang ist auch das letzte Literaturprojekt zu sehen: 1990 entwickelte Jörg Schröder zusammen mit Barbara Kalender ein neuartiges Vertriebskonzept, die Desktop-Reihe Schröder erzählt im neu gegründeten März Desktop Verlag von Barbara Kalender.

Ab Juni 2006 veröffentlichte Schröder und Kalender zusammen insgesamt mehr als 1.400 Beiträge in ihrem Autorenblog in der taz.[5]

Jörg Schröder starb am 13. Juni 2020 im Alter von 81 Jahren in Berlin. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Pankow III.[6]


Bücher im März Verlag (Auswahl)


  • Günter Amendt: Sexfront (1970),
  • Thomas Bayrle: Feuer im Weizen (1970),
  • Siegfried Bernfeld: Antiautoritäre Erziehung und Psychoanalyse, 3 Bde., (1969),
  • Ted Berrigan: Guillaume Apollinaire ist tot (1970), Rolf Dieter Brinkmann (Hrsg., Übers.),
  • Andreas Biss: Wir hielten die Vernichtung an: Kampf gegen die Endlösung 1944 (1985)
  • Paulus Böhmer: Aktionen auf der äußeren Rinde (1972),
  • Joe Brainard: 1984 – Comics (1983),
  • Rolf Dieter Brinkmann, Ralf Rainer Rygulla (Hrsg.): Acid – Neue amerikanische Szene (1969),
  • Carlos Castaneda: Die Lehren des Don Juan (1972),
  • Peter O. Chotjewitz: Vom Leben und Lernen (1969),
  • Hans Henning Claer: Laß jucken Kumpel (1971), Das Bullenkloster (1972), Bei Oma brennt noch Licht (1979),
  • Leonard Cohen: Schöne Verlierer (1970), Blumen für Hitler (1971), Das Lieblingsspiel (1972).
  • Huguette Couffignal: Die Küche der Armen (1977)
  • Jan Cremer: Ich Jan Cremer 2 Bde. (Neuausgabe 1977), Made in USA (1969),
  • Robert Crumb: Headcomix (1970),
  • Basil Davidson: Die Befreiung Guineas (1970),
  • Alfred Demarc (d. i. Alfred von Meysenbug): Lucys Lustbuch (1971) (beschlagnahmt),
  • Karin Reese (Hrsg.): DIG Neue Bewußtseinsmodelle (1970),
  • Jim Dine: Gedichte und Zeichnungen (1971),
  • Isabelle Eberhardt: Sandmeere, 4 Bde./2. Bde. (1981),
  • Ralph Ellison: Unsichtbar, 1984.
  • Frantz Fanon: Für eine afrikanische Revolution (1972),
  • Leslie Fiedler: Die Rückkehr des verschwundenen Amerikaners (1970),
  • Vera Figner: Freiheit oder Tod: Nacht über Rußland (1978),
  • John Giorno: Cunt (1969),
  • Pierre Goldmann: Dunkle Erinnerungen eines in Frankreich geborenen polnischen Juden (1980)
  • Heinrich Hannover: Die Birnendiebe vom Bodensee (1970), Der müde Polizist (1972),
  • Florian Havemann: Auszüge aus den Tafeln des Schicksals (1979),
  • Gunnar Heinsohn und Otto Steiger: Die Vernichtung der weisen Frauen (1985),
  • Ernst Herhaus: Notizen während der Abschaffung des Denkens (1970)
  • David Horowitz (Hrsg.): Strategien der Konterrevolution (1969), Big Business und kalter Krieg (1971)
  • Leroi Jones: Schwarze Musik (1970),
  • Anna Kavan: Julia und die Bazooka (1983),
  • Ken Kesey: Einer flog über das Kuckucksnest (1971), Manchmal ein großes Verlangen (1985),
  • Wladimir Korolenko: Die Geschichte meines Zeitgenossen (1970),
  • Esteban López: Liebe und Tarot (1972),
  • Erhard Lucas: Märzrevolution im Ruhrgebiet (1970),
  • Michael McClure: Dunkelbraun (1970),
  • Svend Åge Madsen: Lüste und Leichen (1969),
  • Gerard Malanga: Selbstportrait eines Dichters (1970),
  • Harry Mathews: Zlahn (1970),
  • Renate Matthaei (Hrsg.): Trivialmythen (1970),
  • Rolf Eckart John (Hrsg.): Mondstrip: Neue englische Prosa (1971),
  • Willi Münzenberg: Propaganda als Waffe (1972),
  • Gustavus Myers: Die großen amerikanischen Vermögen (1969),
  • Jan Myrdal: Die albanische Herausforderung (1971),
  • Wolfgang Neuss und Gaston Salvatore: Der Mann mit der Pauke (1981),
  • Hermann Nitsch: Orgien Mysterien Theater (1969),
  • Kenneth Patchen: Erinnerungen eines schüchternen Pornographen (1977), Schläfer erwacht (1983),
  • Hermann Peter Piwitt: Das Bein des Bergmanns Wu (1971),
  • Gunter Rambow: Doris (1970) (beschlagnahmt)
  • Irving Rosenthal: Schöps (1969),
  • Hartmut Sander, Ulrich Christians: Subkultur Berlin (1969),
  • Einar Schlereth und Batjo Daeng Bintang: Indonesien. Analyse eines Massakers (1970),
  • Gunter Schmidt: Das große DER DIE DAS – Über das Sexuelle (1986),
  • Uve Schmidt: Ende einer Ehe (1978),
  • Christian Schultz-Gerstein: Der Doppelkopf (1979),
  • Günter Seuren: Abdecker (1970),
  • Upton Sinclair: Boston (1978), Der Dschungel (1980), Am Fließband – Mr. Ford und sein Knecht Shutt (1983), Öl! (1984),
  • Edgar Snow: Roter Stern über China (1969),
  • Valerie Solanas: Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer (1969),
  • Augustin Souchy: Anarcho-Syndikalisten: Über Bürgerkrieg und Revolution in Spanien (1969)
  • Parker Tyler: Underground Film (1970),
  • Jules Vallès: Jacques Vingtras (1970),
  • Bernward Vesper, Jörg Schröder (Hrsg.): Die Reise (1977); Die Reise: Ausgabe letzter Hand (1979, 2005),
  • Colin Wilson: Das Okkulte (1982),
  • Gerhard Zwerenz: Kopf und Bauch (Neuausgabe 2005)

Veröffentlichungen



Als Autor



Als Herausgeber



Als Übersetzer



Als Drehbuchautor



Als Gestalter (Auswahl)



Als Aktions- und Konzeptkünstler (Auswahl)


Bei dem Darmstädter Olympia-Press-Prozess im Jahr 1969 ging es vordergründig um die Anklage gegen den Verleger Jörg Schröder wegen Verbreitung pornographischer Schriften. Tatsächlich handelte es sich jedoch um einen Musterprozess. Deshalb initiierte Jörg Schröder parallel zum Prozess die sogenannte „Kranichsteiner Pressekonferenz“ mit Lese-Performance und Filmvorführung. Gleichzeitig rief Schröder die ironische Bürgerinitiative „Rettet den langen Ludwig“ ins Leben. Schröder wurde im Prozess freigesprochen.

Literatur



Ausstellungen




Commons: Jörg Schröder – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise


  1. Jörg Schröder, der MÄRZ-Verleger, Buchgestalter und Schriftsteller ist heute gestorben. Abgerufen am 13. Juni 2020 (deutsch).
  2. taz.Blog von Barbara Kalender und Jörg Schröder
  3. Karl Heinz Bohrer, Nur vier Jahre. März beantragt Vergleich. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Oktober 1972, S. 2; hierbei handelt es sich um die – als Entschuldigung zu lesende – gründliche Korrektur eines vorangegangenen vernichtenden Urteils (Karl Heinz Bohrer: Wieder mal Unbewältigtes. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Februar 1972, S. 18), auf das Schröder mit einer Zivilklage reagiert hatte (Ernst Herhaus, Jörg Schröder: Siegfried. März, Frankfurt am Main 1972, S. 289–293).
  4. Diederich Diederichsen, Jutta Koether, Albert Oehlen: Der Verleger als Schamane und Schuhputzer. Interview mit Jörg Schröder. In: Spex, Nr. 12, 1986, S. 48–55.
  5. Der Verleger Jörg Schröder ist gestorben, deutschlandfunkkultur.de, erschienen und abgerufen am 13. Juni 2020.
  6. Der Bär flattert nicht mehr. In: Süddeutsche Zeitung. 14. Juni 2020, abgerufen am 27. Mai 2021.
  7. Ab Mai 1990 erscheinen viermal jährlich im März Desktop Verlag die Folgen „Schröder erzählt“. Format 21 × 30 cm, Handbindung. Die Folge hat gewöhnlich 50 Blatt (einseitig bedruckt).
Personendaten
NAME Schröder, Jörg
ALTERNATIVNAMEN Schröder, Jörg Walter Paul (vollständiger Name); Paul, Walter (Pseudonym); Beaux, Hari (Pseudonym)
KURZBESCHREIBUNG deutscher Schriftsteller, Verleger, Übersetzer, Buchgestalter, Grafik-Designer
GEBURTSDATUM 24. Oktober 1938
GEBURTSORT Berlin
STERBEDATUM 13. Juni 2020
STERBEORT Berlin



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