Peter Szondi [ˈpeːtɛr ˈsondi] (* 27. Mai 1929 in Budapest; † 18. Oktober 1971 in Berlin[1]) war ein Literaturwissenschaftler, Kritiker, Übersetzer und Essayist, der die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland institutionell begründet und sie international vernetzt hat. Er war Professor an der Freien Universität Berlin, wo das Peter-Szondi-Institut seinen Namen trägt.
Peter Szondi wurde 1929 als Sohn des ungarischen Psychiaters Leopold Szondi in einer assimilierten jüdischen Familie geboren. Er entstammte einem bildungsbürgerlichen Elternhaus in Budapest. Sein Onkel László Radványi gehörte zum Budapester Sonntagskreis um Georg Lukács, Karl Mannheim und Béla Balázs, seine Tante war Anna Seghers.[2] Schon in seiner Jugend war Szondi mit Ivan Nagel befreundet, mit dem er später gemeinsam studierte.
Die Familie Szondi war von Juli bis Dezember 1944 im Konzentrationslager Bergen-Belsen interniert und wurde im Rahmen des sogenannten Kasztner-Abkommens in die Schweiz freigekauft. Von 1945 bis 1948 besuchte er die Kantonsschule Trogen. Danach studierte Szondi Germanistik, Romanistik und Philosophie in Zürich und Paris. Um 1950 las er gemeinsam mit Ivan Nagel in Zürich die Fixsterne seiner späteren intellektuellen Orientierung, das Frühwerk von Theodor W. Adorno und Walter Benjamin. 1954 schloss er seine bald berühmte Dissertation Theorie des modernen Dramas bei Emil Staiger ab. In der Nachfolge von Adornos Philosophie der neuen Musik, Walter Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels und Georg Lukács’ Theorie des Romans erprobte er dabei eine historische Formsemantik des Dramas auf der Basis seiner europäisch-amerikanischen Rettungsversuche. 1960/61 folgte seine Habilitation an der Freien Universität Berlin mit Versuch über das Tragische.
1959 lernte Szondi Paul Celan in Paris kennen, später Gershom Scholem. Er engagierte sich fortan für Celan, verteidigte ihn gegenüber Plagiatsvorwürfen und kämpfte öffentlich gegen konservative Intellektuelle mit Nazivergangenheit wie Hans Egon Holthusen. Scholem versuchte Ende der 1960er Jahre, seinen Freund Szondi für einen Lehrstuhl nach Israel einzuberufen, doch er erhielt eine Absage.
Ab 1965 war Szondi Ordinarius und Direktor des neugegründeten Seminars für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin, des ersten komparatistischen Instituts der Bundesrepublik. Daneben war er Gastprofessor in Princeton und Jerusalem. Szondi trug wesentlich zu einer Internationalisierung der Literaturwissenschaft bei, wie es sie seit 1933 in Deutschland nicht mehr gegeben hatte. Er verabschiedete sich von der Nationalphilologie und öffnete die Geisteswissenschaften für die europäische Literatur. Zu den Gästen seines Instituts zählten befreundete Gelehrte und Dichter wie Theodor W. Adorno, Gershom Scholem, René Wellek, Bernhard Böschenstein, Jean Starobinski, Jean Bollack und Jacques Derrida. Szondis Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt.
Szondi konnte die Professur für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich, die zuvor Paul de Man innehatte, nicht mehr übernehmen. Der Tod von Adorno im August 1969 bedeutete für ihn einen tiefen Einschnitt – wie auch der Suizid von Celan im April 1970, den er einen Monat zuvor noch in Paris besucht hatte. Am 18. Oktober 1971 ertränkte sich Szondi im Halensee in Berlin.[3] Er ist auf dem Friedhof Fluntern in Zürich beigesetzt. Das ehemalige Seminar für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft heißt heute zu seinem Gedenken Peter-Szondi-Institut. Eine Rede auf der Trauerfeier hielt Jean Bollack, die Rede wurde 2013 veröffentlicht.[4]
In seiner Rede zum 30. Geburtstag des Instituts (1996) betonte Szondis Schüler Gert Mattenklott:
„Es würde dieses Institut nicht geben ohne die Scham angesichts der Geschichte der deutschen Philologie während des Faschismus. (…) Mit anderen Worten, dieses Institut – was immer es auch sonst noch sein mag – ist zuallererst das Resultat einer wissenschaftsgeschichtlichen Sezession. Dieser Logik folgend hat seine Komparatistik ihre Orientierung nicht am Nationenvergleich der alten ‚Littérature Comparée‘, hat sie nicht an der Bonner Komparatistik genommen, sondern an der transnationalen Ästhetik und Poetologie Allgemeiner Literaturwissenschaft, wie sie der Exilant René Wellek an der Yale University beispielgebend eingerichtet hat.“
„Wohl enthält alles Formale, im Gegensatz zu Thematischen, seine künftige Tradition als Möglichkeit in sich. Aber der historische Wandel im Verhältnis von Subjekt und Objekt hat mit der dramatischen Form die Überlieferung selber in Frage gestellt. (…) So wäre, damit ein neuer Stil möglich sei, die Krise nicht nur der dramatischen Form, sondern der Tradition als solcher zu lösen.“[5]
„Bis heute ist der Begriff von Tragik und Tragischem im Grunde ein deutscher geblieben – nichts kennzeichnender als die Parenthese des Satzes, mit dem ein Brief Marcel Prousts beginnt: ‚Vous allez voir tout le tragique, comme dirait le critique allemand Curtius, de ma situation.‘“[6]
„Nicht selten spielt in philologischen Auseinandersetzungen der Beleg dieselbe Rolle wie das Indiz in den Verblendungstragödien eines Shakespeare oder Kleist: der Beweis bringt den Zweifel zum Verstummen, weil an ihm selber nicht gezweifelt wird. Geschähe dies häufiger, so hätten die Fußnoten schwerlich die Aura des Wohlbegründeten.“[7]
„Die traditionelle Dichtung hat die Vergangenheit nur verwirklicht, soweit sie vom Subjekt aus der Dinglichkeit der Entfremdung zurückgewonnen war. In [Guillaume Apollinaires Gedicht-Zyklus] Zone wird versucht, das Entfremdete als solches auszusagen. Die wichtigste Folge dieses Verzichts auf Subjektivierung ist der Verlust der Werkzeit. Der Ausdruck bezeichnet die Beteiligung des dichterischen (oder musikalischen) Kunstwerks an der Zeit, in der es sich als ein zeitliches ereignet. Sie besteht in der Sinnerfüllung des leeren Nacheinanders. Sinnerfüllung aber setzt ein Subjekt voraus, welches das eine auf das andere bezieht und so Sinnbezug schafft. Die unbezogenen ‚Erinnerungsfetzen‘ können in Zone kein organisches Nacheinander, sondern (…) nur ein montiertes Nebeneinander erlangen.“[8]
„Celan greift häufig auf die Möglichkeit des Deutschen zurück, unbegrenzt neue Wörter zusammenzusetzen; es gehört dies zu den bezeichnenden Zügen seiner Sprache. Freilich handelt es sich dabei nicht um ein stilistisches Mittel (falls es dergleichen überhaupt geben sollte). Mit Hilfe der Komposita gelingt es Celan, sich in kondensierten Syntagmen auszudrücken, das diskursive Element in isolierte Wörter zu bannen, zugleich aber es derart einzuschließen, daß die Prädikation eine Freiheit erlangt, die sie angesichts der Schranken, die der syntaktischen Ambiguität (auf die sich, wie man weiß, Mallarmés Sprache gründet) gesetzt sind, von sich aus nicht hat.“[9]
Szondis Nachlass liegt im Deutschen Literaturarchiv Marbach.[10][11] Teile davon sind im Literaturmuseum der Moderne in Marbach in der Dauerausstellung zu sehen.
Personendaten | |
---|---|
NAME | Szondi, Peter |
ALTERNATIVNAMEN | Szondi, Péter (ungarische Schreibweise) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Literaturwissenschaftler, Kritiker, Übersetzer und Essayist ungarischer Herkunft |
GEBURTSDATUM | 27. Mai 1929 |
GEBURTSORT | Budapest |
STERBEDATUM | 18. Oktober 1971 |
STERBEORT | Berlin |