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Roland Eduard Paul Harweg (* 20. August 1934 in Dortmund; † 12. April 2019[1]) war ein deutscher Sprachwissenschaftler, Germanist und Semiotiker.


Leben


Roland Harweg, Sohn des Marineoffiziers Eduard Harweg, besuchte nach Volksschulen in Dortmund und Gütersloh und einer Mittelschule in Lüdenscheid das Zeppelin-Gymnasium Lüdenscheid und das Stadtgymnasium Dortmund, an dem er 1955 das Abitur ablegte.[2]

Von 1955 bis 1961 studierte er an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster allgemeine und vergleichende Sprachwissenschaft sowie Latein, Griechisch, Sanskrit und einige weitere orientalische Sprachen. Zu seinen akademischen Lehrern gehörten der allgemeine Sprachwissenschaftler Peter Hartmann, der vergleichende Sprachwissenschaftler Alfred Schmitt, der Indogermanist und Kaukasiologe Karl Horst Schmidt, der klassische Philologe Hermann Kleinknecht, der Indologe Hermann Berger, der Ägyptologe Walther Wolf, der Hethitologe Einar von Schuler, der Turkologe Gotthard Jäschke und die Ostasienwissenschaftler Otto Karow und Bruno Lewin.

1960 legte Harweg in den Fächern Latein und Griechisch das Staatsexamen ab und wurde 1961 mit der – 1964 unter dem Titel Kompositum und Katalysationstext, vornehmlich im späten Sanskrit im Druck erschienenen – Dissertation Spätaltindische Nominalkomposita, Katalysationstexte und Kontextselektion bei Peter Hartmann promoviert. Von 1960 bis 1965 war er wissenschaftlicher Assistent bei Peter Hartmann, 1965 habilitierte er sich bei ihm mit der Schrift Pronomina und Textkonstitution für allgemeine und indogermanische Sprachwissenschaft, und von 1965 bis 1969 lehrte er als Dozent an der Universität Münster. Im Herbst 1969 wurde er als ordentlicher Professor für germanistische Sprachwissenschaft ans Germanistische Institut der Ruhr-Universität Bochum berufen. Diese Tätigkeit übte er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1999 aus. Während seiner Bochumer Zeit hat er verschiedene Gastdozenturen an der Tongji-Universität in Schanghai wahrgenommen und einen längeren Forschungsaufenthalt an der Tokyo-Daigaku, der ehemaligen Kaiserlichen Universität Tokio, verbracht.

Harweg lebte in Witten. Er starb 18 Tage nach dem Tod seiner Frau Elke und wurde auf dem Kommunalfriedhof Witten-Heven beigesetzt.[3]


Wirken


Mit seiner Habilitationsschrift Pronomina und Textkonstitution (die von Wolfgang Dressler als „die erste große Monographie zur Textlinguistik“[4] und von Teun A. van Dijk und János S. Petöfi als „a first large monograph dealing with the problems of text constitution“[5] gewürdigt worden ist) gehörte Roland Harweg zu den Begründern der Mitte der 1960er Jahre im deutschen Sprachraum entstandenen Textlinguistik.[6] Kern dieses Buches ist eine vielzitierte (und des Öfteren kritisierte[7]) Definition des Textes als „ein durch ununterbrochene pronominale [in einem stark erweiterten Sinne dieses Wortes zu verstehende] Verkettung konstituiertes Nacheinander sprachlicher Einheiten“.[8] Dabei verwendete Harweg den Begriff des Nacheinanders, im Anschluss an Louis Hjelmslev,[9] nicht nur in Bezug auf schriftlich, sondern, wie es in der Textlinguistik weithin üblich geworden ist, auch in Bezug auf mündlich, also etwa in Form von Gesprächen, konstituiertes sprachliches Nacheinander.

Harweg hat seine in diesem Buch entwickelten Vorstellungen in einer Vielzahl von Aufsätzen erweitert, vertieft und modifiziert und in seinem Buch Situation und Text im Drama am Beispiel von Friedrich Dürrenmatts tragischer Komödie Der Besuch der alten Dame unter Einbeziehung pragmatischer und fiktionstheoretischer Gesichtspunkte auf die Textgattung Drama angewandt und ausgedehnt. Erweitert hat Harweg das auf seiner Textdefinition fußende Textmodell vor allem durch die Einführung des Konzepts des (später von anderen auch Makrotext genannten[10]) Großraumtextes[11] und des Konzepts des plurilinearen Textes.[12] Großraumtexte waren für ihn zum Beispiel die Geflechte aus Zeitungs- oder Rundfunknachrichten und bestimmten von ihnen jeweils vorausgesetzten Nachrichten und plurilineare Texte zum Beispiel Texte mit Fußnoten.[13]

Außer mit Fragen der Textlinguistik hat sich Harweg in zahlreichen Aufsätzen mit Problemen der neuhochdeutschen und der sprachvergleichenden Grammatik beschäftigt und dabei Fragen aus dem Bereich der verschiedensten Wortarten, besonders der des Verbums, behandelt. Des Weiteren hat er sich mit Fragen der Deixis, der Erzähltheorie, des Verhältnisses von Objektsprache und Metasprache, des Verhältnisses von Namen und Wörtern, des Verhältnisses von Laut und Schrift und des Verhältnisses von Fiktion und Wirklichkeit auseinandergesetzt. Ein von ihm erstmals[14] genauer analysierter Ausdruckstyp ist der in der Umgangssprache überaus häufige und darüber hinaus in den verschiedensten Sprachen nachweisbare Ausdruckstyp das und das oder der und der.[15]

Nach seiner Emeritierung hat sich Harweg unter anderem mit Fragen der Chronographie befasst. Dabei hat er zwei Grundformen von Chronographie ausgemacht, eine mit und eine ohne Anbindung an die jeweilige Gegenwart (von Autoren und Lesern), und diese beiden Formen (von denen er die erstere als historiographisch und die letztere als mythographisch charakterisiert und bezeichnet hat) in Texten unterschiedlicher Zeiten und unterschiedlicher Kulturen aufzuweisen versucht.

In seinem 2017 erschienenen Buch Leben und Tod hat Harweg eine durch Erleben beziehungsweise Nichterleben definierte Konzeption von „phänomenologischem“ Leben und „phänomenologischem“ Tod (mit der Sonderform eines räumlichen Todes) und eine auf die These der Janusköpfigkeit von biologischem Leben und biologischem Tod gegründete Vorstellung von biologischem Leben nach dem biologischen Tod entwickelt.

Auf dem Gebiet der Semiotik hat sich Harweg, beginnend mit seiner Münsteraner Antrittsvorlesung von 1966,[16] in verschiedenen Aufsätzen mit dem Verhältnis von Sprache und Musik auseinandergesetzt.


Buchveröffentlichungen



Autor



Herausgeber



Literatur



Einzelnachweise


  1. Ruhr-Universität Bochum: Nachruf Roland Harweg, FAZ vom 1. Mai 2019
  2. Roland Harweg: Meine Schulzeit. In: Joachim Wittkowski (Hrsg.): Hic, haec, hoc. Der Lehrer hat ’nen Stock. Schulgeschichten aus dem Ruhrgebiet. Bottrop 2007, ISBN 978-3-922750-70-3, S. 89–107.
  3. Die Zeit, 25. April 2019, S. 47.
  4. Wolfgang Dressler: Textsyntax. In: Lingua e stile. Band 5, 1970, S. 193.
  5. Teun A. van Dijk, János S. Petöfi: Foreword: The Genesis of this Reader. In: Teun A. van Dijk, János S. Petöfi (Hrsg.): Grammars and Descriptions. Berlin, New York 1977, ISBN 3-11-005741-7, S. VII.
  6. Wolfgang Dressler: Harweg, Roland: Pronomina und Textkonstitution (Anzeige). In: Die Sprache. Zeitschrift für Sprachwissenschaft. Band 15, 1969, S. 66f., Shoko Kishitani: Doitsu no gengokenkyû ni okeru shinkeikô to shite no tekusuto gengogaku ni tsuite ("Textlinguistik als eine neue Richtung in der deutschen Sprachforschung"). In: Enerugeia (Energeia). Band 2, 1970, S. 106–109 und Hennig Brinkmann: Die deutsche Sprache. Gestalt und Leistung. 2. Auflage. Düsseldorf 1971, ISBN 3-7895-0006-2, S. 726f., 917
  7. Eine positive Einschätzung der Definition findet sich z. B. bei Robert de Beaugrande: Text, Discourse, and Process. Toward a Multidisciplinary Science of Texts. London 1980, ISBN 0-582-29109-7, S. 133.
  8. Roland Harweg: Pronomina und Textkonstitution. S. 148.
  9. Louis Hjelmslev: Prolegomena to a Theory of Language. Baltimore 1953.
  10. Gerhard Tschauder: Textverbindungen. Ansätze zu einer Makrotextologie, auch unter Berücksichtigung fiktionaler Texte. Bochum 1989, ISBN 3-88339-739-3.
  11. Roland Harweg: Zur Textologie des Vornamens: Perspektiven einer Großraumtextologie. In: Linguistics. Band 61, 1970, S. 12–28.
  12. Roland Harweg: Bifurcations de textes. In: Semiotica. Band 12, 1974, S. 41–59.
  13. Angewendet auf das Phänomen der Hypertexte, die Vernetzung von Texten im Weltweiten Netz (WorldWideWeb), finden sich die Konzepte des Großraumtextes und des plurilinearen Textes, verbunden mit Harwegs Konzept der Rudimentärtexte (aus Roland Harweg: Nichttexte, Rudimentärtexte, Wohlgeformte Texte. In: Folia Linguistica. Band 7, 1975, S. 371–388), in Birgitta Bexten: Was macht Hypertext mit Text? Textlinguistische Einsichten in das be- und entgrenzende Wirken von Paratext und Text in Hypertext. Utrecht 2010, ISBN 978-94-6093-024-9.
  14. Manfred von Roncador: Zwischen direkter und indirekter Rede. Nichtwörtliche direkte Rede, erlebte Rede, logophorische Konstruktionen und Verwandtes. Tübingen 1988, ISBN 3-484-30192-9, S. 104.
  15. Roland Harweg, Elke Harweg, Peter Canisius: Sekundäre Unbestimmtheit. Studien zu einer universellen Sonderform der Redewiedergabe. Aachen 2003, ISBN 3-8322-1089-X.
  16. Der Text der Antrittsvorlesung hat als Ausgangspunkt einer Diskussion mit dem Anglisten Ulrich Suerbaum und dem Musikwissenschaftler Heinz Becker gedient, die unter dem Titel Sprache und Musik in der Zeitschrift Poetica. Band 1, 1967, S. 390–414 und S. 556–566 erschienen ist. Eine Rezension dieser Diskussion ist, aus der Feder von Tomislav Volek, unter dem Titel diskuse na téma ‚jazyk a hudba‘ in der tschechischen Zeitschrift Hudební věda. Band 6, 1969, S. 352–355 erschienen.
Personendaten
NAME Harweg, Roland
ALTERNATIVNAMEN Harweg, Roland Eduard Paul (vollständiger Name)
KURZBESCHREIBUNG deutscher Sprachwissenschaftler, Germanist und Semiotiker
GEBURTSDATUM 20. August 1934
GEBURTSORT Dortmund
STERBEDATUM 12. April 2019



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