Die rätische Sprache wurde bis ins 3. Jahrhundert n.Chr. im mittleren Alpenraum gesprochen, vor allem im nordöstlichen Italien (einschließlich des heutigen Südtirols) und im heutigen Österreich (Nordtirol und Vorarlberg), aber auch in der heutigen Ostschweiz und eventuell weiteren angrenzenden Gebieten. Die nicht-indogermanische Sprache ist heute in weiten Teilen unverständlich, ihre Verwandtschaft mit dem Etruskischen gilt inzwischen als gesichert. Wegen einer gewissen Unschärfe des Begriffs Räter sind nicht notwendigerweise alle in der Antike als rätisch betrachtete oder bezeichnete Volksstämme als Sprecher der rätischen Sprache anzunehmen.
Rätisch (†)
Zeitraum
bis 3. Jahrhundert n. Chr.
Ehemals gesprochen in
Alpen (und Vorgebiet) nördlich der Linie von Como bis Verona: Venetien, Trentino, Graubünden, Südtirol, Tirol, Vorarlberg, Oberbayern
Sprachcodes
ISO 639-1
–
ISO 639-2
–
ISO 639-3
xrr
Sprachgebiete im Italien des 6. Jahrhunderts v.Chr.
Das Rätische ist in zahlreichen, allerdings durchwegs sehr kurzen Inschriften bezeugt und wurde in verschiedenen Alphabeten geschrieben, die dem altitalischen Schriftenkreis angehören. Sämtliche Inschriften sind im Thesaurus Inscriptionum Raeticarum (TIR) der Universität Wien systematisch erfasst und online zugänglich.
Genealogische Einordnung
Bezüglich ihrer genealogischen Einordnung entstanden in der Neuzeit mehrere stark divergierende Theorien. Durchgesetzt hat sich inzwischen die These einer engen Verwandtschaft mit dem Etruskischen, was eine weitere Zuordnung in die ansonsten isolierte Gruppe der Tyrsenischen Sprachen erlaubt, zu der sonst nur noch das Lemnische gerechnet wird.[1] Der Indogermanist und Etruskologe Helmut Rix führt eine Reihe von Übereinstimmungen des Rätischen mit dem Etruskischen an, vor allem im Bereich der Grammatik. Um die Zeitenwende meinten die römischen Geschichtsschreiber Plinius der Ältere, Pompeius Trogus und Titus Livius, die Räter seien durch das Eindringen von Kelten nach Oberitalien in die Alpen vertriebene Etrusker gewesen, wobei Livius (Ab urbe condita V33) sogar von einem bei den Rätern – allerdings „unvollkommen“ – bewahrten Klang des Etruskischen spricht. Wie Theodor Mommsen ausführt,[2] sollen beide Sprachen sehr „hart“ und „rau“ geklungen haben, in beiden fehlten die Konsonanten b, d, g[3] und wurden bei der Übernahme etwa von Namen aus der griechischen Mythologie durch p, t, k ersetzt.
Andere Theorien finden deutlich weniger Zustimmung bzw. gelten als obsolet:
eine Einordnung als keltische Sprache,
eine Einordnung als isolierte Sprache,
die vom Privatgelehrten Linus Brunner[4] in den 1980er-Jahren aufgestellte Hypothese, wonach die rätische Sprache eine semitische Sprache sei.
Rätische Personennamen
Die rätische Namensformel besteht aus einem Individualnamen („Rufname“) und einem darauffolgenden Patronym („Vatersname“), wobei letzteres bei männlichen Personen mit dem Suffix -nu gebildet wird, bei weiblichen hingegen mit dem Suffix -na, z.B.
männlich und weiblich: Φrima Remi-χ Vispeχa-nu „Phrima (weiblich) und (-χ) Remi (männlich) Vispekhanu“
Das Rätoromanische
Das im früheren Churrätien der Schweiz gesprochene (Bündner-)Romanische wie auch das Ladinische – beide heute mit dem Friulanischen zum Rätoromanischen zusammengefasst – geht nicht auf die rätische Sprache zurück, sondern auf das Vulgärlatein der romanisierten Bevölkerung dieser Gebiete. Dabei ist nicht auszuschließen, dass sich Sprache und Kultur der vorrömischen (im Osten und Südosten rätischen, im Westen und Südwesten möglicherweise keltisch-ligurischen und/oder lepontischen) Bevölkerung in irgendeiner Form in der romanischen Kultur erhalten haben und die Grundlage für das Selbstverständnis der Romanen bilden.
Durch das Vordringen der Bajuwaren aus dem nördlichen Alpenvorland in (Süd-)Tirol seit dem 6.Jahrhundert n.Chr. wurde jedenfalls das ladinische Rätoromanisch nach und nach zurückgedrängt.
Literatur
Stefan Schumacher: Die rätischen Inschriften. Geschichte und heutiger Stand der Forschung. 2.Aufl. Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft Bd. 79. Sonderheft. Institut für Sprachwissenschaft der Universität Innsbruck, Innsbruck 2004. ISBN 3-85124-155-X
Helmut Rix: Rätisch und Etruskisch. In: Innsbrucker Beiträge zur Sprachwissenschaft. Bd. 68: Vorträge und kleinere Schriften. Institut für Sprachwissenschaft der Universität Innsbruck, Innsbruck 1998. ISBN 3-85124-670-5
Stefan Schumacher: Sprachliche Gemeinsamkeiten zwischen Rätisch und Etruskisch. In: Der Schlern. Bd.72, Heft 2, S.90–114 (Bozen 1998).
A. Mancini: Iscrizioni retiche. In: Studi Etruschi. Firenze 43. 1975, S.249–306. ISSN0391-7762
Linus Brunner, Alfred Toth: Die rätische Sprache – enträtselt. Sprache und Sprachgeschichte der Räter. St. Gallen, 1987 (Digitalisat einer engl. Ausgabe des Buches)[5] – zur von der Fachwelt verworfenen „Semitenthese“.
Ferruccio Bravi: La lingua dei reti, Volume 1: Grafica, fonetica, note grammaticali, titoli. Volume 2: Testi, lessico, repertori, Centro di documentazione storica, Bolzano 1981.
S. 118 und 120 f. von: Theodor Mommsen: Römische Geschichte. Erster Band, Erstes Buch, Neuntes Kapitel. Die Etrusker. Berlin, 1923.
Ernst Risch: Die Räter als sprachliches Problem, S. 677: Abb. 1 vergleicht die relevanten Alphabete und Buchstaben des Alpen- und des Mittelmeerraums miteinander. Vgl. auch die lemnische Sprache.
Vortrag im Pfarrhaus Gretschins: Die Räter und ihre Sprache. Bildbericht zu einem Vortrag von Prof. Dr. Linus Brunner, St. Gallen. Von Hansjürg Vorburger, in: Werdenberger & Obertoggenburger, 20. März 1985
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