Konrat Julius Fürchtegott Ziegler (* 12. Januar 1884 in Breslau, Provinz Schlesien; † 8. Januar 1974 in Göttingen) war ein deutscher klassischer Philologe. Neben einem breiten Spektrum an eigenen Forschungen zur griechischen und lateinischen Literatur der Antike hat ihm besonders die Herausgabe der letzten Bände des Ausführlichen Lexikons der griechischen und römischen Mythologie (1923–1937) und eines bedeutenden Teils von Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (1946–1974) wissenschaftliche Bekanntheit verschafft.
Konrat Ziegler wurde 1884 als drittes von sieben Kindern von Ludwig Ziegler und Bertha Ziegler (geborene Diener) geboren[1] und entstammte einer Familie Breslauer Kaufleute. Die Schulzeit in seiner Heimatstadt an der von Carl Mittelhaus gegründeten „Privatschule für Knaben“[2] und am Elisabet-Gymnasium beendete er 1902 mit dem Reifezeugnis und nahm ein Studium der Geschichte, Archäologie und Klassischen Philologie an der Universität Breslau auf. Im Herbst 1904 unternahm er im Auftrag seines Professors Franz Skutsch eine zweimonatige Studienreise nach Rom, wo er das einzige erhaltene Manuskript der Schrift De errore profanarum religionum des Iulius Firmicus Maternus untersuchte und ihm einige Verbesserungen der Textrekonstruktion gelangen.[3] Im Oktober 1905 wurde Konrat Ziegler bei Skutsch aufgrund der am 20. Juli verteidigten Dissertation „De precationum apud Graecos formis quaestiones selectae“[1] zum Dr. phil. promoviert.
1906 absolvierte er das Staatsexamen für die Fächer Geschichte, Latein und Altgriechisch im Lehramt an höheren Schulen, wandte sich dann aber einer universitären Karriere zu. Seine Einleitung zu De errore profanarum religionum wurde 1907 der Universität Breslau als Habilitationsschrift vorgelegt, die Habilitation selbst erfolgte im Oktober dieses Jahres bei Franz Skutsch. Daraufhin erhielt Ziegler vom preußischen Staat ein Stipendium in Höhe von 500 Mark für eine Reise nach Italien, wo er Handschriften von Plutarchs Biographien verglich. Im Dezember 1909 wurde Ziegler zum etatmäßigen außerordentlichen Professor ernannt. Nach dem Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg (zunächst als Dolmetscher, später als Presseattaché der deutschen Gesandtschaft in Bulgarien) wurde er 1920 persönlicher Ordinarius in Breslau. 1923 wechselte Ziegler als Nachfolger von Johannes Mewaldt an die Universität Greifswald, wo er 1926/1927 Dekan der Philosophischen Fakultät und 1928/1929 Rektor der Universität war.
Konrat Ziegler war Gründungsmitglied der Deutschen Demokratischen Partei und in ihrem Hauptvorstand tätig, gehörte dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold sowie der Deutschen Friedensgesellschaft an und war Vorstand des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus. Während seiner Greifswalder Zeit geriet der überzeugte Demokrat daher zunehmend in Konflikt mit nationalistischen und monarchistischen Kreisen, wobei er sich bereits 1924 im „Greifswalder Flaggenstreit“ gegen den Prorektor der Universität, Theodor Vahlen, stellte, weil der am Verfassungstag 1924 die schwarz-rot-goldene Reichsfahne entfernen ließ.[4] Aufgrund seines konsequenten Eintretens für die Weimarer Republik wurde er am 2. Mai 1933 nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten beurlaubt und im September von den neuen Machthabern entlassen.[5]
Nach seiner Entlassung siedelte der Wissenschaftler mit seiner Familie (seiner Frau Hanna und fünf Kindern) nach Berlin über und blieb weiter wissenschaftlich tätig. Nachdem er 1938 einem befreundeten jüdischen Bankier bei der Flucht ins Ausland und dem heimlichen Nachtransport von dessen Vermögen geholfen hatte, wurde Ziegler am 5. Januar 1939 verhaftet und kam nach Moabit in Untersuchungshaft. Im Mai 1940 wurde er angesichts seiner angeblichen „Weltfremdheit und ein[em] ungewöhnliche[n] Maß an Hilfsbereitschaft“[6], die durch das Gericht als mildernde Umstände ausgelegt wurden, zu einer Geld- und Gefängnisstrafe verurteilt. Die Haftstrafe wurde schließlich auf Bewährung auf vier Monate verkürzt. Ein Dienststrafverfahren im folgenden Jahr wurde eingestellt, allerdings belegte der Propagandaminister Joseph Goebbels ihn mit einem totalen Publikationsverbot. Dennoch arbeitete er weiter an seiner Plutarch-Biographie, die im Jahr 1949 publiziert wurde.
Ebenfalls nach seiner Entlassung aus der Haft versteckte Ziegler die Tochter jüdischer Bekannter in seiner Wohnung, die allerdings am 22. November 1943 ausgebombt wurde. Bei diesem Luftangriff ging auch seine Privatbibliothek völlig verloren. Ziegler zog mit seiner Familie nach Osterode am Harz, wo bereits seine beiden Schwestern lebten. Die Klassischen Philologen an der örtlichen Städtischen Oberschule halfen ihm mit ihren privaten Beständen an Fachliteratur aus, sodass er in gewissem Maße seine Arbeit fortsetzen konnte. Seinen früheren Greifswalder Kollegen Kurt Latte, der als Jude verfolgt wurde, überzeugte er, ebenfalls in das vergleichsweise ungefährliche Osterode umzusiedeln, und versteckte ihn zwischenzeitlich.
Am 17. April 1945 wurde Konrat Ziegler von der britischen Besatzungsmacht durch Major Crouch zum Landrat des Kreises Osterode am Harz ernannt und übte diese Funktion bis November 1946 aus. Während Kurt Latte nach Ende des Krieges auf seinen Lehrstuhl an der Georg-August-Universität Göttingen zurückkehren konnte, lehnte die Universität eine Berufung Zieglers zum Honorarprofessor gegen den Willen ihrer Philosophischen Fakultät ab. Insbesondere Kurt Latte trat in dieser Situation nicht für seinen früheren Helfer ein, im Gegenteil.[7] Konrat Ziegler erhielt daher 1946 nur einen Lehrauftrag – woraufhin er 1947 nach Göttingen in eine Wohnung zog – und wurde erst 1950 zum Honorarprofessor ernannt. Im Dezember 1949 wurde das 1940 verhängte Urteil gegen Ziegler aufgehoben und dieser damit offiziell rehabilitiert; 1953 wurde ihm rückwirkend zum Sommersemester 1951 das Gehalt eines entpflichteten Hochschullehrers bewilligt. Seminare und Vorlesungen hielt er bis zum Wintersemester 1957/1958, sprang aber auch danach noch gelegentlich bei Personalmangel ein. Ab 1965 wurde er offiziell als ordentlicher Emeritus der Göttinger Universität geführt.
In Göttingen war Ziegler kommunalpolitisch für die SPD aktiv (Ratsherr von 1948 bis 1964) und setzte sich insbesondere für die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus ein. 1969 wurde er Ehrenbürger von Göttingen und noch zu Lebzeiten mit der Benennung einer Straße geehrt. Posthum erhielt er 2001 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem die Auszeichnung als „Gerechter unter den Völkern“. Auch Zieglers wissenschaftliche Verdienste wurden im In- und Ausland gewürdigt: Er wurde 1964 Ehrendoktor der Aristoteles-Universität Thessaloniki und erhielt den Großen Verdienstorden des Landes Niedersachsen, nachdem er das Bundesverdienstkreuz mit der Begründung abgelehnt hatte, er wolle nicht dieselbe Auszeichnung erhalten, mit der vor ihm bereits Hans Globke, ein Kommentator der Nürnberger Gesetze, ausgezeichnet worden war. 1969 wurde Ziegler Ehrenmitglied der Society for the Promotion of Hellenic Studies in London.
Im November 2021 wurde an seinem ehemaligen Wohnhaus in der Greifswalder Blumstraße 13 (ehemals Moltkestraße) eine Gedenktafel angebracht.[8]
Zieglers wissenschaftliches Werk war weit gespannt, hatte aber seit seiner Dissertation über „Gebetsformen bei den Griechen“ (besonders vor Ende des Zweiten Weltkriegs) einen gewissen Schwerpunkt bei der antiken Religionsgeschichte. So gab er von 1923 bis 1937 das von Wilhelm Heinrich Roscher begründete Ausführliche Lexikon der griechischen und römischen Mythologie heraus, aber auch (gerade nach 1945) verschiedene Schriften Marcus Tullius Ciceros. Vor allem beschäftigte er sich zeit seines Lebens mit Plutarch, dem er eine Reihe von Aufsätzen im Rheinischen Museum für Philologie widmete und dessen Werke er in einer kritischen Ausgabe herausgab. Daneben befasste er sich allerdings auch einer großen Reihe anderer Themen der Klassischen Philologie, darunter besonders der frühen altgriechischen Literatur und der Poesie des hellenistischen Zeitalters. Eine Studie Zieglers zur Klassischen Walpurgisnacht in Goethes Faust II wurde 20 Jahre später eine wichtige Quellenschrift für Thomas Mann im 7. Kapitel von Lotte in Weimar.[9]
1946 übernahm Konrat Ziegler unter den schwierigen Bedingungen der Nachkriegszeit die nach dem Tod von Karl Mittelhaus verwaiste Herausgeberschaft von Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, für die er seit 1912 bereits Artikel verfasst hatte. Auch er erlebte wie seine Vorgänger den Abschluss des riesigen Werkes nicht mehr, konnte es aber in knapp 30 Jahren durch die Herausgabe von 21 Bänden bis kurz vor die Vollendung bringen, die dann Hans Gärtner betreute. Seine eigenen Beiträge, die sich ursprünglich auf die Geographie des antiken Sizilien konzentriert hatten, umfassten gerade ab den 1930er-Jahren eine große Bandbreite an Themen besonders der griechischen Literatur- und Religionsgeschichte. Zusammen mit Walther Sontheimer und Hans Gärtner gab Ziegler auch die fünfbändige Kurzausgabe Der Kleine Pauly heraus. Die Herausgabe der beiden Nachschlagewerke führte dazu, dass er sich immer wieder auch in neue Themengebiete einarbeitete, für die kein geeigneter Autor zur Verfügung stand.[10]
Monographien
Herausgeberschaften und Übersetzungen antiker Texte
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Eduard von der Goltz | Rektor der Universität Greifswald 1928 | Ottomar Hoehne |
Erster Lehrstuhl: Johann Gottlob Theaenus Schneider (1811–1815) | Franz Passow (1815–1833) | Friedrich Ritschl (1833–1839) | Friedrich Haase (1840–1867) | August Reifferscheid (1868–1885) | Wilhelm Studemund (1885–1889) | Richard Foerster (1890–1898) | Eduard Norden (1898–1906) | Paul Wendland (1906–1909) | Alfred Gercke (1909–1922) | Ludolf Malten (1922–1945)
Zweiter Lehrstuhl: Ludwig Friedrich Heindorf (1811–1816) | Karl Ernst Christoph Schneider (1816–1856) | Johannes Vahlen (1856–1858)
Dritter Lehrstuhl: Joseph Julius Athanasius Ambrosch (1834–1856) | August Rossbach (1856–1898) | Richard Foerster (1898–1920)
Vierter Lehrstuhl (bis 1862 Extraordinariat): Wilhelm Wagner (1845–1857) | Rudolf Westphal (1857–1862) | Martin Hertz (1862–1893) | Friedrich Marx (1893–1896) | Franz Skutsch (1896–1912) | Wilhelm Kroll (1913–1935) | Hans Drexler (1935–1940) | Wilhelm Süß (1940–1945)
Etatmäßiges Extraordinariat: Richard Foerster (1873–1875) | Arthur Ludwich (1876–1878) | Georg Kaibel (1879–1881) | Konrad Zacher (1881–1907) | Konrat Ziegler (1909–1920)
Erster Lehrstuhl: Christian Wilhelm Ahlwardt (1817–1830) | Georg Ludwig Walch (1830–1838) | Rudolf Heinrich Klausen (1838–1840) | Otto Jahn (1842–1847) | Ludwig von Urlichs (1847–1855) | Martin Hertz (1855–1862) | Hermann Usener (1863–1866) | Franz Bücheler (1866–1870) | Wilhelm Studemund (1870–1872) | Adolph Kießling (1872–1889) | Friedrich Marx (1889–1893) | Eduard Norden (1893–1899) | Wilhelm Kroll (1899–1906) | Carl Hosius (1906–1913) | Ernst Lommatzsch (1913–1922) | Günther Jachmann (1922) | Kurt Latte (1923–1926) | Franz Dornseiff (1926–1948) | Jürgen Kroymann (1954–1955) | Dietrich Ebener (1957–1967) | Martin Hose (1994–1997) | Michael Weißenberger (1999–2013)
Zweiter Lehrstuhl: Georg Friedrich Schömann (1827–1879) | Rudolf Schöll (1873–1874) | Eduard Hiller (1874–1876) | Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1876–1883) | Georg Kaibel (1883–1886) | Ernst Maass (1886–1895) | Alfred Gercke (1896–1909) | Hermann Schöne (1909–1916) | Johannes Mewaldt (1916–1923) | Konrat Ziegler (1923–1933) | Franz Egermann (1934–1942) | Gregor Vogt-Spira (1994–2006)
Dritter Lehrstuhl (Extraordinariat, 1863–1898 Ordinariat): Franz Susemihl (1856–1898) | Alfred Körte (1899–1903) | Ludwig Radermacher (1903–1906) | Ernst Bickel (1906–1909) | Johannes Mewaldt (1909–1914) | Georg Thiele (1914–1917) | Kurt Witte (1917–1920) | August Schmekel (1921–1927)
Personendaten | |
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NAME | Ziegler, Konrat |
ALTERNATIVNAMEN | Ziegler, Konrat Julius Fürchtegott (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher klassischer Philologe |
GEBURTSDATUM | 12. Januar 1884 |
GEBURTSORT | Breslau, Provinz Schlesien |
STERBEDATUM | 8. Januar 1974 |
STERBEORT | Göttingen |