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Stefan Zweig (* 28. November 1881 in Wien; † 23. Februar[1] 1942 in Petrópolis, Bundesstaat Rio de Janeiro, Brasilien) war ein britisch-österreichischer Schriftsteller, Übersetzer und Pazifist.

Stefan Zweig (ca. 1912)
Stefan Zweig (ca. 1912)
Stefan Zweig (ca. 1912)

Zweig gehörte zu den populärsten deutschsprachigen Schriftstellern seiner Zeit. Mit seinen vielgelesenen psychologischen Novellen im Stil des Realismus wie Brennendes Geheimnis (1911), Angst, Brief einer Unbekannten, Amok und literarisierten Biographien, darunter Magellan. Der Mann und seine Tat sowie Triumph oder Tragik des Erasmus von Rotterdam gehörte er zu den bedeutenden deutschsprachigen Erzählern zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Seine Sprache ist durch eine hohe Anschaulichkeit und klangliche Gefälligkeit gekennzeichnet; die Werke sind in ihrer Erzählweise wie den stilistischen Mitteln weitgehend der Novellistik des Realismus verpflichtet. Nicht zuletzt aufgrund der Vereinigung klassischer Elemente, darunter des dramatischen Handlungsverlaufs, mit einer psychoanalytisch motivierten Figurenzeichnung wie stilistischen Multiperspektivität, bot Zweig seiner breiten Leserschaft einen authentischen Zugang zu einer Literatur, in der ihre Gegenwart reflektiert wurde, ohne sie mit modernistischen Erzählweisen zu konfrontieren.

Unter seinen zahlreichen Prosaarbeiten ragen besonders die Schachnovelle, die Sternstunden der Menschheit sowie seine Erinnerungen Die Welt von Gestern hervor.


Leben



1881 bis 1918 – Frühe Jahre


Geburtshaus Stefan Zweigs in Wien am Schottenring 14
Geburtshaus Stefan Zweigs in Wien am Schottenring 14

Stefan Samuel[2] Zweig war ein Sohn des wohlhabenden jüdischen Textilunternehmers Mori(t)z Zweig (1845–1926) und dessen Frau Ida Brettauer (1854–1938)[3]. Sie entstammte einer reichen – ursprünglich aus Hohenems stammenden – Kaufmanns-/Bankiersfamilie, war aber im italienischen Ancona geboren und aufgewachsen, wohin ihre Familie ausgewandert war.[4] Er wurde in Wien in der elterlichen großbürgerlichen Wohnung Schottenring 14 geboren und wuchs gemeinsam mit seinem Bruder Alfred am Concordiaplatz 1, später in der Rathausstraße 17 im Stadtzentrum auf. Die Zentrale der väterlichen Webwarenfabrik befand sich am Schottenring 32 (Grundstück des späteren Ringturms), dann am Franz-Josefs-Kai 33 (Häuserblock des Hotels Métropole).[5] Die Familie Zweig war nicht religiös, Zweig selbst bezeichnete sich später als „Jude aus Zufall“. Mit dem deutschen Schriftsteller Arnold Zweig ist er nicht verwandt.

Stefan Zweig um 1900
Stefan Zweig um 1900

Am Wiener Gymnasium Wasagasse legte er 1899 seine Matura ab. Anschließend, an der Wiener Universität als Student der Philosophie eingeschrieben, schrieb er zunächst für das Feuilleton der Neuen Freien Presse, dessen Redakteur Theodor Herzl war. Nachdem Gedichte von ihm schon ab 1897 in Zeitschriften veröffentlicht worden waren, erschien 1901 der Gedichtband Silberne Saiten und 1904 seine erste Novelle, Die Liebe der Erika Ewald. In diesem Jahr wurde Stefan Zweig mit einer Dissertation über Die Philosophie des Hippolyte Taine bei Friedrich Jodl in Wien zum Dr. phil. promoviert. Nach und nach entwickelte er eine markante Schreibweise, die behutsame psychologische Deutung mit fesselnder Erzählkraft und brillanter Stilistik verband. Neben eigenen Erzählungen und Essays arbeitete Zweig auch als Journalist sowie als Übersetzer der Werke Verlaines, Baudelaires und insbesondere Émile Verhaerens. Seine Bücher erschienen im Insel-Verlag in Leipzig, mit dessen Verleger Anton Kippenberg er schließlich freundschaftlich verbunden war und dem er die Anregung zur 1912 gegründeten Insel-Bücherei gab, die sich rasch mit sehr großen Verkaufszahlen auf dem Buchmarkt etablieren konnte und noch heute verlegt wird.

Nachdem Donald A. Prater,[6] Oliver Matuschek[7] und Benno Geiger[8] auf eine vor 1920 bestehende Tendenz Zweigs zum Exhibitionismus hingewiesen hatten,[9] hinterfragt der Journalist und Literaturwissenschaftler Ulrich Weinzierl in seinem 2015 erschienenen Buch Stefan Zweigs brennendes Geheimnis die Äußerungen von Zweigs früherem Freund und späterem Gegner Benno Geiger („Er litt an der Sucht des Exhibitionismus, das heißt, an dem unwiderstehlichen Drang, sich in Anwesenheit eines jungen Mädchens zu entblößen“) kritisch. Weinzierl findet in Zweigs Aufzeichnungen ab 1912 deutliche Anzeichen auf das von Zweig so genannte „Schauprangertum“ und verklausulierte Andeutungen, er sei im Schönbornpark beinahe erwischt worden.[10] In dieser Zweigs bürgerliche Existenz bedrohenden Neigung sieht der Germanist Weinzierl psychodynamische Mechanismen, die Zweig in künstlerischer Hinsicht angetrieben hätten.[11] Gemäß dem Bonner Psychiater, Gerichtspsychiater und Medizinhistoriker Dieckhöfer zeichnete sich das Phänomen des Exhibitionismus für den Dichter Zweig „letztlich als flüchtiges Durchgangssyndrom werdender charakterlicher Reifung […] inmitten einer kulturell sexualfeindlichen, leibfeindlichen Umwelt“ ab, wobei sich schließlich „ein gesundes Wohl-und-Wehe“ durchsetzte.[12]

Zweig pflegte einen großbürgerlichen Lebensstil und reiste sehr viel. So besuchte er auf Anraten von Walther Rathenau im November 1908 fünf Monate lang Britisch-Indien (mit Kalkutta, Benares, Gwalior, Rangun in Burma) und Britisch-Ceylon sowie im Februar 1911 Amerika. Diese Reisen verschafften ihm Kontakte zu anderen Schriftstellern und Künstlern, mit denen er oft lang anhaltende Korrespondenzen führte. Zweig war auch ein begeisterter und in Fachkreisen anerkannter Sammler von Autographen.

Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte Zweig, wie er im Buch Die Welt von Gestern schreibt:

„… vorläufig keinerlei militärische Pflichten, da ich bei allen Assentierungen als untauglich erklärt worden war … Andererseits war es wieder unerträglich, in einer solchen Zeit als verhältnismäßig junger Mensch abzuwarten, bis man ihn herausscharrte aus seinem Dunkel und an irgendeine Stelle warf, an die er nicht gehörte. So hielt ich Umschau nach einer Tätigkeit, wo ich immerhin etwas leisten konnte, ohne hetzerisch tätig zu sein, und der Umstand, daß einer meiner Freunde, ein höherer Offizier, im Kriegsarchiv war, ermöglichte es mir, dort eingestellt zu werden.“

Es gelang, Rainer Maria Rilke im Alter von „fast vierzig Jahren“ „gleichfalls für unser abgelegenes Kriegsarchiv anzufordern … er wurde bald dank einer gütigen medizinischen Untersuchung entlassen“.

Zweig beschloss nun, auch unter dem Einfluss eines seiner Freunde, des französischen Pazifisten Romain Rolland, „meinen persönlichen Krieg zu beginnen: den Kampf gegen den Verrat der Vernunft an die aktuelle Massenleidenschaft“. Was er in dieser Zeit empfand, beschrieb er so:

„Von Anfang an glaubte ich nicht an den ,Sieg‘ und wußte nur eines gewiß: daß selbst wenn er unter maßlosen Opfern errungen werden könnte, er diese Opfer nicht rechtfertige. Aber immer blieb ich allein unter all meinen Freunden mit solcher Mahnung, und das wirre Siegesgeheul vor dem ersten Schuß, die Beuteverteilung vor der ersten Schlacht ließ mich oft zweifeln, ob ich selbst wahnsinnig sei unter all diesen Klugen oder vielmehr allein grauenhaft wach inmitten ihrer Trunkenheit.“[13]

1917 wurde er vom Militärdienst erst beurlaubt, später ganz entlassen. Die Vorbereitung der Aufführung seiner Tragödie „Jeremias“ am Stadttheater eröffnete Zweig die Gelegenheit, nach Zürich zu ziehen. Hier in der neutralen Schweiz arbeitete er außerdem als Korrespondent für die Wiener Neue Freie Presse und publizierte seine humanistische, den partei- und machtpolitischen Interessen völlig fernstehende Meinung auch in der deutschsprachigen Zeitung Pester Lloyd. In der Schweiz lernte er 1918 Erwin Rieger[14] kennen, der später die erste Biographie von Zweig herausgab.


1919 bis 1933 – Salzburger Jahre


Nach Kriegsende kehrte Zweig nach Österreich zurück. Zufälligerweise reiste er am 24. März 1919 ein, demselben Tag, an dem der letzte österreichische Kaiser, Karl I., ins Exil in die Schweiz ausreiste. Zweig beschrieb diese Begegnung an der Grenze später in seinem Werk Die Welt von Gestern.[15]

Zweig fuhr nach Salzburg, wo er im Krieg, 1917, das desolate Paschinger Schlössl auf dem Kapuzinerberg gekauft hatte, um es später zu bewohnen. Im Jänner 1920 heiratete er die von dem Journalisten Felix Winternitz geschiedene Friderike Winternitz, die zwei Töchter in die Ehe brachte.

Unter dem Eindruck der fortschreitenden Inflation in Deutschland und Österreich, was den Import ausländischer Bücher in den deutschsprachigen Raum zur Lektüre in der Originalfassung vermutlich auf längere Sicht extrem erschweren würde, riet Zweig dem Verleger des Leipziger Insel Verlags, Anton Kippenberg, zur Edition von fremdsprachiger Literatur in den Originalsprachen als „Orbis Literarum“, die aus den Reihen Bibliotheca Mundi, Libri Librorum und Reihe Pandora bestehen sollte. Allerdings blieben alle drei Reihen erheblich unter den erwarteten Verkaufszahlen und endeten schon nach wenigen Jahren.[16]

Als engagierter Intellektueller trat Stefan Zweig vehement gegen Nationalismus und Revanchismus auf und warb für die Idee eines geistig geeinten Europas. In den 1920er Jahren schrieb er viel: Erzählungen, Dramen, Novellen. Die Sammlung historischer Momentaufnahmen Sternstunden der Menschheit von 1927 zählt bis heute zu seinen erfolgreichsten Büchern.

1928 bereiste Stefan Zweig die Sowjetunion, wo seine Bücher auf Betreiben von Maxim Gorki, mit dem er im Briefwechsel stand, auf Russisch herauskamen. Sein 1931 erschienenes Buch Die Heilung durch den Geist widmete er Albert Einstein. 1933 verfasste Zweig das Libretto für die Oper Die schweigsame Frau von Richard Strauss.


1934 bis 1942 – Exiljahre


Stolperstein für Stefan Zweig am Kapuzinerberg 5, Salzburg.
Stolperstein für Stefan Zweig am Kapuzinerberg 5, Salzburg.

Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Deutschen Reich im Jahre 1933 wurde deren Einfluss auch in Österreich in Form von Bombenterror und unverhohlenen Auftritten der SA spürbar. Die Christlichsozialen setzten sich gegen die Nationalsozialisten zur Wehr – etwa durch ein Verbot der NSDAP nach einem Handgranatenüberfall auf christlich-deutsche Wehrturner. Zuvor hatten sie die Demokratie abgeschafft, um die Sozialdemokraten ausschalten zu können (siehe Selbstausschaltung des Parlaments); Zweig nahm die nationalsozialistische Bedrohung von Salzburg aus, quasi in Sichtweite des Domizils Hitlers auf dem Obersalzberg, sehr ernst und sah darin ein „Vorspiel [zu] viel weiter reichenden Eingriffen“.[17]

Am 18. Februar 1934, wenige Tage nach dem Februaraufstand der Sozialdemokraten gegen den austrofaschistischen Ständestaat, durchsuchten vier Polizisten das Haus des erklärten Pazifisten Stefan Zweig, da er denunziert worden war, dass sich in seinem Haus Waffen des Republikanischen Schutzbundes befänden.[18] Zweig merkte zwar, dass die Durchsuchung nur pro forma durchgeführt wurde, dennoch war er davon tief betroffen, stieg zwei Tage danach in den Zug und emigrierte nach London.

Ein erhaltenes Exemplar von Stefan Zweigs Buch „Amok“
Ein erhaltenes Exemplar von Stefan Zweigs Buch „Amok“

Im Deutschen Reich durften seine Bücher nicht mehr im Insel Verlag erscheinen, sondern wurden vom Herbert-Reichner-Verlag Wien verlegt, dem Zweig in diesen Jahren auch als literarischer Berater zur Seite stand.[19] Dennoch rissen die Kontakte nach Deutschland nicht ab. Er unternahm auch eine Reise nach Südamerika. Im März 1933 kam die Verfilmung seiner Novelle Brennendes Geheimnis in die Kinos. Da der Titel im Hinblick auf den Reichstagsbrand viel Anlass zu Spott bot, wurde die weitere Aufführung des Films verboten.[20] Für Richard Strauss konnte er noch das Libretto zur Oper Die schweigsame Frau verfassen; die Oper wurde aufgrund persönlicher Genehmigung Adolf Hitlers in der Dresdner Oper aufgeführt, musste dann aber wegen des jüdischen Autors abgesetzt werden.[21] Zweig wurde auf die Liste der Bücherverbrennungen gesetzt und 1935 in die Liste verbotener Autoren aufgenommen. Im österreichischen Ständestaat wurde er weiterhin ausgesprochen geschätzt, während er im nationalsozialistischen Deutschland als „unerwünscht“ galt. Sein reichsdeutscher Verleger, Anton Kippenberg vom Insel Verlag, musste sich von seinem bedeutendsten Erfolgsautor trennen. Im Exil in England lebend, konnte Zweig über den Reichner-Verlag in Wien nach wie vor ein deutschsprachiges Publikum erreichen; nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich wurden seine deutschen Schriften in Schweden gedruckt, wobei er international weiterhin einer der meistgelesenen Autoren seiner Zeit blieb.[22]

Stefan Zweigs Haus in Petrópolis
Stefan Zweigs Haus in Petrópolis

Seine Ehe mit Friderike Zweig, von der er ab seiner Flucht aus Salzburg 1934 partiell getrennt lebte, wurde im November 1938 in London geschieden. Er hatte sich mit seiner Sekretärin Charlotte Altmann (1908–1942), die aus einer jüdischen Fabrikantenfamilie stammte[23], auf eine Liaison eingelassen, was seiner Frau nicht verborgen geblieben war.[24] 1939 heiratete er Charlotte Altmann, die ihm auf seinen Reisen gefolgt war. Der Kontakt zu seiner ersten Frau brach aber nie ab, bis zu seinem Tod bestand ein vertrauter Briefkontakt, und es kam auch zu verschiedenen persönlichen Begegnungen.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges nahm Stefan Zweig die britische Staatsbürgerschaft an. Er zog mit seiner Frau im Juli 1939 von London nach Bath und kaufte sich dort ein Haus (Rosemount, Ecke Lyncombe Hill). Hier begann er die Arbeit an der Biographie über Honoré de Balzac. Seinem Freund Sigmund Freud hielt er nach dessen Tod bei der Trauerfeier am 26. September 1939 im Krematorium von Golder’s Green in London eine Abschiedsrede, die unter dem Titel Worte am Sarge Sigmund Freuds veröffentlicht wurde. Aber bald verließ er Großbritannien aus Furcht, die Engländer könnten keinen Unterschied zwischen Österreichern und Deutschen machen und ihn dann als „Enemy Alien“ (feindlichen Ausländer) internieren.[25] Über die Stationen New York, Argentinien und Paraguay gelangte er im Jahr 1940 schließlich nach Brasilien, in ein Land, das ihm früher eine triumphale Begrüßung bereitet hatte und für das er eine permanente Einreiseerlaubnis besaß. Laut dem Zweig-Biographen Alberto Dines erhielt Zweig als Prominenter trotz des Antisemitismus der Diktatur Getúlio Vargas’ dieses Dauervisum, da er im Gegenzug ein Buch zugunsten Brasiliens verfassen wollte.[26] 1941 erschien die Monografie Brasilien.[27]

1941 erfolgte die Aberkennung des Doktorgrades durch die Nationalsozialisten (mit Senatsbeschluss der Universität Wien vom 10. April 2003 für nichtig erklärt, nachdem alle an der Aberkennung Beteiligten bereits verstorben waren).[28]


Tod


Grabstätte von Stefan und Lotte Zweig auf dem Hauptfriedhof in Petrópolis
Grabstätte von Stefan und Lotte Zweig auf dem Hauptfriedhof in Petrópolis
Stefan Zweig, Büste von Josef Zenzmaier, 1983 in Salzburg auf dem Kapuzinerberg aufgestellt
Stefan Zweig, Büste von Josef Zenzmaier, 1983 in Salzburg auf dem Kapuzinerberg aufgestellt

In der Nacht vom 22. zum 23. Februar 1942 nahm sich Stefan Zweig in Petrópolis in den Bergen etwa 50 Kilometer nordöstlich von Rio de Janeiro mit einer Überdosis Veronal das Leben.[29] Depressive Zustände begleiteten ihn seit Jahren. Der Totenschein nennt als Zeitpunkt des Todes den 23. Februar 1942 um 12 Uhr 30 und als Todesursache „Einnahme von Gift – Suizid“.[30] Seine Frau Lotte folgte Zweig in den Tod. Hausangestellte fanden beide gegen 16 Uhr in ihrem Bett: ihn auf dem Rücken liegend mit gefalteten Händen, sie seitlich an ihn gelehnt.[31]

In seinem Abschiedsbrief hatte Zweig geschrieben, er werde „aus freiem Willen und mit klaren Sinnen“ aus dem Leben scheiden. Die Zerstörung seiner „geistigen Heimat Europa“ hatte ihn für sein Empfinden entwurzelt, seine Kräfte seien „durch die langen Jahre heimatlosen Wanderns erschöpft“.[32] Zweigs Entscheidung, sein Leben zu beenden, stieß nicht überall auf Verständnis, zumal seine materielle Existenz, anders als die vieler Schriftstellerkollegen im Exil, gesichert war. Stefan Zweig wurde ein Symbol für die Intellektuellen im 20. Jahrhundert auf der Flucht vor der Gewaltherrschaft. In diesem Sinne wurde in seinem letzten Wohnhaus in Petrópolis die Casa Stefan Zweig eingerichtet, ein Museum, das nicht nur die Erinnerung an sein Werk bewahren soll.[33]

Thomas Mann schrieb 1952 zu Zweigs zehntem Todestag über dessen Pazifismus: „Es gab Zeiten, wo sein radikaler, sein unbedingter Pazifismus mich gequält hat. Er schien bereit, die Herrschaft des Bösen zuzulassen, wenn nur das ihm über alles Verhaßte, der Krieg, dadurch vermieden wurde. Das Problem ist unlösbar. Aber seitdem wir erfahren haben, wie auch ein guter Krieg nichts als Böses zeitigt, denke ich anders über seine Haltung von damals – oder versuche doch, anders darüber zu denken.“[34]

So strikt Stefan Zweig eine komplette Trennung von Geist und Politik forderte, so fest stand er für ein vereinigtes Europa in der Tradition Henri Barbusses, Romain Rollands und Émile Verhaerens ein.

2017 wurde er von der brasilianischen Regierung postum mit dem höchsten Orden für Ausländer, dem Ordem Nacional do Cruzeiro do Sul, dem Nationalen Orden vom Kreuz des Südens im Grad eines Kommandeurs (Comendador) geehrt.[35] Die österreichische Botschafterin nahm an seiner Stelle die Auszeichnung in der Casa Stefan Zweig von Petrópolis entgegen. Bereits in früheren Jahren war im Rioaner Stadtviertel Laranjeiras eine Straße, die Rua Stefan Zweig, wo Mitglieder der oberen Mittelklasse Häuser haben, nach ihm benannt worden. Auch in São Paulo und einer Stadt in der nördlichen Peripherie wurden Straßen nach ihm benannt. Zudem trägt eine Escola Estadual im Viertel Vila Ivone im Südosten von São Paulo seinen Namen. Seit 2014 trägt die Pädagogische Hochschule Salzburg den Namen Stefan Zweig.[36]


Wirkung und Charakteristika des Werks


Vor allem Zweigs Prosawerke und romanhafte Biografien (Joseph Fouché, Marie Antoinette) finden bis heute ein Publikum. Das Gesamtwerk zeichnet sich durch eine hohe Dichte von Novellen (Schachnovelle, Der Amokläufer etc.) und historisch basierten Erzählungen aus. So finden historische Persönlichkeiten von Ferdinand Magellan über Lew Tolstoi, Fjodor Dostojewski, Napoleon Bonaparte, Georg Friedrich Händel und Joseph Fouché bis zu Marie-Antoinette in einer stark subjektiv personalisierten Geschichte Eingang in Zweigs Werk.

Reduzierte man das Werk Zweigs auf vier dominierende Charakteristika, so beschriebe man es vermutlich mit den Begriffen Tragik, Drama, Melancholie und Resignation. Nahezu alle Werke Zweigs enden in tragischer Resignation. Der Protagonist wird durch äußere wie innere Umstände am Erlangen seines Glücks, welches unmittelbar erreichbar scheint, gehindert, was damit umso tragischer wirkt. Dieses Merkmal tritt besonders im Roman Ungeduld des Herzens, in Zweigs einzigem vollendeten Roman, hervor. In der beispielhaften Novelle Der Amokläufer, einer Typologie der Leidenschaft, inspiriert von großen Vorbildern wie Balzac und dabei ganz der Erzähltradition der Wiener Schule – allen voran Arthur Schnitzler – folgend, ist die Hauptperson einem dämonischen Zwang unterworfen, der sie aus der hergebrachten Ordnung ihres Lebens reißt. Deutlich wird hier der Einfluss Sigmund Freuds erkennbar. Diese Novelle, wie auch alle anderen Novellen Zweigs, beschreibt eine unerhörte Begebenheit, was nach Goethe ein gattungsspezifisches Kennzeichen der Novelle ist.

In der Schachnovelle, Zweigs wohl bekanntestem Buch, kämpft ein kühl kalkulierender, roboterhafter Schachweltmeister, getrieben von ordinärer Habgier, gegen einen Mann, der von den Nationalsozialisten in Isolationshaft gefangengehalten wurde. Zum einen wird hier der Mensch an sich mit einem unmenschlichen System (Faschismus) konfrontiert, zum anderen beschreibt Zweig das Leiden des Gefangenen ohne Möglichkeit eines Kontaktes zur Außenwelt und die sich daraus ergebenden Folgen. Trotz dieses eindringlichen Plädoyers für das Menschliche sprach Zweig dem Schriftsteller eine aktive politische Rolle ab. Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges unterschied und entzweite ihn dieser Standpunkt von den anderen Exilliteraten (vornehmlich Heinrich Mann und Ernst Weiß) und dem PEN-Club.

Stefan Zweig sah in der Vereinigung Europas die einzige Möglichkeit, zukünftige Kriegsgefahr und Nationalismus abzuwenden. Sein supranationales europäisches Einigungsmodell hat dabei insbesondere eine antipolitische und antiökonomische Dimension im Sinne eines humanistischen Universalismus der übernationalen Habsburgermonarchie.[37] Zweigs Anknüpfungen an die Idee der Habsburgermonarchie wurden besonders kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als abgehobener Blickwinkel kritisiert.[38] Trotzdem sah Zweig wie Joseph Roth, aber auch James Joyce die mitteleuropäische Zeit vor dem Ersten Weltkrieg als Gegenstück zur Preußisch-Norddeutschen kompromisslosen Weltsicht und betonte die völkerverbindenden und ausgleichenden habsburgischen Grundsätze des „Leben und Leben lassen!“.[39]


Werke



Originalausgaben


Georg P. Salzmann hält eine Erstausgabe der Schachnovelle von Stefan Zweig in seinen Händen
Georg P. Salzmann hält eine Erstausgabe der Schachnovelle von Stefan Zweig in seinen Händen
Die erste Seite des Manuskripts zu Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters.
Die erste Seite des Manuskripts zu Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters.

Vollständige Bibliographie der Erstausgaben bei Wikisource


Auswahl neuerer Ausgaben



Briefwechsel



Hörbücher



Übersetzung


Zu den Übersetzern, mit denen Zweig zusammenarbeitete und befreundet war, gehört der Franzose Alzir Hella.


Verfilmungen


Seit den 1920er Jahren wurde Zweigs literarisches Schaffen auch international verfilmt. Einige seiner Werke, wie Der Amokläufer, gleich mehrfach. Im Folgenden eine Auswahl:


Filme



Literatur




Commons: Stefan Zweig – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Stefan Zweig – Quellen und Volltexte
Wikiquote: Stefan Zweig – Zitate

Über Stefan Zweig


Einzelnachweise


  1. Totenschein (óbito): falecido aos 23 de fevereiro del 1942 às 12 horas e 30' = verstorben am 23. Februar 1942, 12 Uhr 30.
  2. Eva Plank: Das Geheimnis um Stefan Zweigs jüdischen Vornamen, in: Stefan Zweig Centre Salzburg (Hrsg.): Zweigheft 15, Salzburg 2016, S. 21–28.
  3. Eintrag „Zweig, Stefan“. In: Munzinger Online/Personen - Internationales Biographisches Archiv. Abgerufen am 9. August 2017.
  4. Die Welt von Gestern
  5. Adressen nach Adolph Lehmanns Adressbuch, Ausgabe 1894; beide Fabrikadressen nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr existent.
  6. Donald A. Prater: Stefan Zweig. Das Leben eines Ungeduldigen. München/Wien 1981.
  7. Oliver Matuschek: Stefan Zweig. Drei Leben. Eine Biographie. Frankfurt am Main 2006.
  8. Benno Geiger: Memorie di un Veneziano. Florenz 1958; Treviso 2009.
  9. Klemens Dieckhöfer: Stefan Zweig (1881–1942) und die Bedeutung des Bionegativen in seinem Leben. Ein Beitrag zur Frage seines Exhibitionismus und als Kommentar aus psychiatrischer Sicht. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 34, 2015, S. 129–135, hier: S. 129.
  10. Ulrich Weinzierl: Stefan Zweigs brennendes Geheimnis. Zsolnay, Wien 2015, ISBN 978-3-552-05742-5, (eingeschränkte Vorschau bei Google Bücher).
    Stefan Gmünder: Stefan Zweig: Ein Schriftsteller am Schaupranger. In: Der Standard, 28. September 2015.
    Jan Küveler: Stefan Zweig war ein Exhibitionist. In: Die Welt, 18. September 2015.
  11. Stefan Zweigs brennendes Geheimnis. In: orf.at, 19. September 2015.
  12. Klemens Dieckhöfer: Stefan Zweig (1881–1942) und die Bedeutung des Bionegativen in seinem Leben. Ein Beitrag zur Frage seines Exhibitionismus und als Kommentar aus psychiatrischer Sicht. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 34, 2015, S. 129–135, hier: S. 134.
  13. Stefan Zweig: Gesammelte Werke in Einzelbänden. Die Welt von Gestern, Erinnerungen eines Europäers. S. Fischer, Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-10-097047-0, S. 290.
  14. Erwin Rieger: Stefan Zweig. Berlin 1928.
  15. Die Welt von Gestern. S. 326 f.
  16. Susanne Buchinger: Stefan Zweig – Schriftsteller und literarische Agent. Die Beziehungen zu seinen deutschsprachigen Verlegern (1901–1942). Buchhändlervereinigung, Frankfurt am Main 1998, S. 152.
  17. Die Welt von Gestern. S. 445.
  18. Die Welt von Gestern. S. 444.
  19. Susanne Buchinger: Stefan Zweig – Schriftsteller und literarischer Agent, Frankfurt am Main 1998, Seite 235 ff.
  20. Die Welt von Gestern. S. 334 (Kapitel Incipit Hitler).
  21. Die Welt von Gestern. S. 428 ff.
  22. Arnold Bauer: Stefan Zweig. Colloquium Verlag, Berlin, 1985, ISBN 3-7678-0659-2.
  23. - Eine ungleiche Beziehung. Abgerufen am 29. Mai 2020.
  24. Frederike M. Zweig: Stefan Zweig. Wie ich ihn erlebte. Neuer NV Verlag, Stockholm 1947, Kap. Das Haus zerbricht.
  25. Die Welt von Gestern. S. 497.
  26. Klaus Hart: Schlechte Menschen. Antisemitismus in Südamerika – weit verbreitet und wenig erforscht. In: Neue Zürcher Zeitung. 11. November 2008, abgerufen am 15. Juli 2013.
  27. Kai Nonnenmacher: Vor der Morgenröte: Stefan Zweig in Brasilien. 6. Juni 2016 (academia.edu).
  28. Senatsbeschluss der Universität Wien vom 10. April 2003. (Memento vom 19. November 2008 im Internet Archive) (PDF; 126 kB), abgerufen am 3. April 2013.
  29. Matthias Rüb: Das Phantasma Brasilien. Die letzten Lebensmonate in Petrópolis verbrachte der Schriftsteller Stefan Zweig angeblich im Glück. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. Februar 2017, S. 9.
  30. Laut Totenschein: ingestão de substancia toxica – suicidio
  31. Thomas Milz: Brasilien: Verloren im Paradies. Stefan Zweig in Petrópolis. (Memento vom 22. Januar 2012 im Internet Archive) In: caiman.de, 2008, Nr. 4.
  32. Abschiedsbrief Stefan Zweigs. (Wikisource)
  33. Ulrike Wiebrecht: Keine Zukunft im Miniatur-Ischl. In: taz, 25. Februar 2009. – Marlen Eckl: Ein winziger Bungalow in herrlicher Landschaft. (Memento vom 31. Januar 2012 im Internet Archive) In: tópicos, 2006, Nr. 2, (PDF; 137 kB), vgl. casastefanzweig.org
  34. Thomas Mann: Reden und Aufsätze. Band 11 von Gesammelte Werke. S. Fischer, Frankfurt am Main 1960, S. 525.
  35. orf.at: Brasilien ehrt Zweig postum mit höchster Auszeichnung. Artikel vom 18. Dezember 2017, abgerufen am 19. Dezember 2017.
  36. Pädagogische Hochschule Salzburg: PH Salzburg: Zweig-Stelle. Abgerufen am 16. Mai 2021.
  37. Siehe Jacques Le Rider: Der Traum von einem vereinigten Europa, in: Der Standard, 18. Februar 2017, S. 41.
  38. Vgl. Klemens Renoldner: Eine Stimme, die ihre Aktualität bewahrt hat, in: Der Standard, 18. Februar 2017, S. 40.
  39. Vgl. u. a. William M. Johnston: Zur Kulturgeschichte Österreichs und Ungarns 1890–1938. Böhlau, Köln/Wien 2015, ISBN 978-3-205-79378-6, S. 49.
  40. Katalogzettel Universitätsbibliothek Wien
  41. Volltext einer englischen Übersetzung. (German History in Documents and Images.) Auch erschienen in Anton Kaes, Martin Jay, und Edward Dimendberg: Regents of the University of California, University of California Press, S. 397–400. (1994)
  42. Frank Jöricke: Alles so schön grau hier. Vor 80 Jahren veröffentlichte Stefan Zweig 'Die Welt von Gestern - Erinnerungen eines Europäers'. In: nd - Der Tag vom 6. September 2022, S. 12
  43. Stefan Zweig, Wes Anderson, Anthea Bell: The society of the crossed keys. Selections from the writings of Stefan Zweig, Inspirations for the Grand Budapest Hotel. Pushkin Press, London 2014, ISBN 978-1-78227-107-9.
  44. George Prochnik: ‚I stole from Stefan Zweig‘. Wes Anderson on the author who inspired his latest movie. In: The Telegraph, 8. März 2014, abgerufen am 21. März 2014, Interview mit Anderson.
Personendaten
NAME Zweig, Stefan
KURZBESCHREIBUNG britisch-österreichischer Schriftsteller
GEBURTSDATUM 28. November 1881
GEBURTSORT Wien
STERBEDATUM 23. Februar 1942
STERBEORT Petrópolis bei Rio de Janeiro

На других языках


- [de] Stefan Zweig

[en] Stefan Zweig

Stefan Zweig (/zwaɪɡ, swaɪɡ/;[1] German: [ˈʃtɛ.fan t͡svaɪ̯k] (listen); 28 November 1881 – 22 February 1942) was an Austrian novelist, playwright, journalist, and biographer. At the height of his literary career, in the 1920s and 1930s, he was one of the most widely translated and popular writers in the world.[2]

[ru] Цвейг, Стефан

Сте́фан Цвейг (нем. Stefan Zweig — Штефан Цвайг; 28 ноября 1881 — 22 февраля 1942[6]) — австрийский писатель, драматург и журналист. Автор многих новелл, пьес, стихов и беллетризованных биографий.



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