lingvo.wikisort.org - Sprache

Search / Calendar

Moliseslawisch oder auch Molisekroatisch, eine südslawische Sprache, wird in drei Ortschaften im italienischen Molise in der Provinz Campobasso sowie von in Australien in der Region Perth und in Argentinien lebenden Auswanderern aus diesen Ortschaften gesprochen.

Moliseslawisch

Gesprochen in

Italien (Australien, Deutschland, Schweiz und andere Auswandererländer)
Sprecher 2500 (Italien), ca. 5000 (Welt)
Linguistische
Klassifikation
  • Indogermanisch
    Slawisch
    Südslawisch
    Westsüdslawisch
    Moliseslawisch

Sprachbezeichnungen


Die Bezeichnungen für diese Mikrosprache variieren, je nachdem, ob Zugehörigkeit zum Kroatischen bzw. zum Serbokroatischen postuliert oder ob das Moliseslawische als eigenständige Sprache aufgefasst wird.

In der deutschen Fachliteratur ist durch Milan Rešetar die Bezeichnung Moliseslawisch bzw. Moliseslavisch eingeführt (ebenso im Russischen молизско-славянский язык).

Die Sprecher selbst verwenden als Eigenbezeichnung für die Sprache naš jezik „unsere Sprache“ bzw. das Adverb na-našu „auf unsere Weise“.


Ursprünge


Es existieren folgenden Hypothesen über die Herkunft der Moliseslawen:

Das Moliseslawische hat Čakavisch-Štokavisch-Ikawische dialektale Besonderheiten, die man in südkroatischen Dialekten finden kann (z. B. silbenschließendes l > a in je nosija „habe getragen“ gegenüber kroatischem Standard nosio je).

Für die angenommene Auswanderungszeit spricht auch das völlige Fehlen von Turzismen mit der osmanischen Expansion als Terminus ante quem. Einen ähnlichen Hinweis gibt das Fehlen der Genitiv-Plural-Endung -ā, die sich nicht vor dem 16./17. Jahrhundert in Kroatien entwickelt hat; vgl. REŠETAR (1997: 31f.).


Sprachgebiet


Die Sprache wird traditionell in einem sehr kleinen Gebiet gesprochen, heute nur noch in drei Dörfern: Acquaviva Collecroce (auf Moliseslawisch Kruč), San Felice del Molise (Filič, standardkroatisch auch Štifilić) und Montemitro (Mundimitar). Die Selbstbezeichnung für das eigene Dorf ist jeweils „naš grad“ (‘unser Ort’). Die Gemeindegebiete grenzen aneinander und liegen etwa 30 km von der Adria entfernt im hügeligen Hinterland. Die Sprecher werden als Moliseslawen (moliseslaw. Zlav, veraltet auch Škavun) oder Molisekroaten bezeichnet.


Phonologie


Das Moliseslawische unterscheidet jeweils zwischen einem geschlossenen und einem offenen e und o. Zur phonologisch exakten Wiedergabe werden das offene e bzw. o mit Gravis geschrieben, vergleiche etwa folgende Minimalpaare: bòb ‘rundliche Person’ vs. bob ‘Saubohne’ und čèla ‘Geschlechtsorgan’ vs. čela ‘Biene’.


Grammatik


Infolge des engen Kontakts mit dem Italienischen, siehe unten, gingen Vokativ und Lokativ in der Deklination verloren. Sie wurden durch den Nominativ bzw. den Akkusativ (in der Phraseologie zum Teil Abweichungen) ersetzt. Die übrigen Kasus einschließlich Instrumental blieben ungeachtet des italienischen Einflusses erhalten.

Der Aorist wurde vollständig durch das Perfekt ersetzt.

Es hat sich ein vollgrammatikalisierter indefiniter Artikel entwickelt, dessen Fehlen vor dem Substantiv als definiter Artikel interpretiert wird.

Die Komparation erfolgt analog zum Italienischen analytisch mittels veča ‘mehr’.

Die derivative slawische Aspektopposition ist erhalten, ist aber der romanischen Opposition "Imperfekt: Perfekt" untergeordnet.

Der (irreale) Konditional kann wie im Italienischen durch das indikativische Imperfekt ausgedrückt werden.

Wie im Italienischen bestehen beim Substantiv nur die Genera maskulin und feminin, während das Neutrum geschwunden ist. Pronomina und substantivierte Adjektive haben wie in italienischen Dialekten ein Neutrum bewahrt.


Sprachkontakt mit dem Italienischen


Das Moliseslawisch befindet sich heute in einer totalen Sprachkontaktsituation, d. h. alle Sprecher beherrschen auch mindestens eine Variante des Italienischen. Die kroatische Basis in der Grammatik des Dialekts ist zwar noch gut erkennbar, kontaktsprachliche Interferenzen zeigen sich aber auf allen Ebenen. Zwei Hauptperioden des romanischen Einflusses sind zu unterscheiden: der früher ausschließliche Kontakt mit dem italienisch-molisanischen Dialekt und – seit etwas mehr als hundert Jahren – der Kontakt mit der italienischen Standardsprache.

Die Gesamtzahl der Einwohner dieser Dörfer liegt heute unter 2.500, wobei nur ein Teil das Moliseslawische beherrscht. Insbesondere in dem zweitgrößten Ort San Felice ist es infolge starker italienischer Zuwanderung aus dem öffentlichen Bereich völlig geschwunden, und nur in wenigen Familien kommt es hier noch als Haussprache vor. In den beiden anderen Orten ist das Moliseslawische noch lebendige Umgangssprache. Es wird von bis zu 60 % der Bevölkerung aktiv verwendet, die passive Kenntnis liegt bei 80 %, allerdings sehr stark nach Generationen unterschieden, wobei Kinder und Jugendliche das Moliseslawische in der Öffentlichkeit nur eingeschränkt gebrauchen. Üblicherweise ist das Moliseslawisch nur mündlich gebraucht. Schriftliche Zeugnisse, normalerweise kleine Sammlungen von Gedichten wie diejenige von GLIOSCA (2004) sind sehr selten. Die einzige Dachsprache für diese Minderheitensprache ist Italienisch (fremdes Dach). Die genetisch nächstverwandte Sprache, Kroatisch, spielt in der Alltagskommunikation keine Rolle.


Dialektunterschiede


Die Dialektunterschiede sind ungeachtet einer Vielzahl gemeinsamer Entwicklungen erheblich, besonders in der Lexik und in der Phonologie. Beispielsweise gilt die phonologische Regel, dass auslautende unbetonte Kurzvokale als [a] auszusprechen sind (moliseslawisches Akanje), nur für Acquaviva und San Felice, während Montemitro bei [o] geblieben ist. Andererseits ist in Acquaviva und Montemitro auslautendes kurzes *–i vollständig geschwunden, während in San Felice noch Fälle von auslautendem [i] auftreten. Im morphologischen Bereich zeigt Montemitro beispielsweise sekundäre Imperfektiva mit dem Suffix –lja-, die in Acquaviva fehlen, etwa riviljat vs. rivivat ‘ankommen’. An auffälligen Gemeinsamkeiten, die das MSL vom heutigen serbokroatischen Bereich unterscheiden, ist die Produktivität eines perfektiven Imperfekts zu nennen, etwa dojahu ‘ich pflegte zu kommen’, die Benutzung eines indikativischen Imperfekts als Irrealis analog zum Italienischen (si nosahu = se portavo ‘wenn ich getragen hätte'), die Existenz eines indefiniten Artikels und einer Opposition zwischen 2 Modalfuturen (mit WOLLEN bzw. HABEN gebildet) usw.


Aktuelle Situation


Zu einer allgemeinen Charakterisierung der heutigen Situation des Moliseslawischen vgl. BREU (1990), zu einer Darstellung wichtiger Sprachkontaktphänomene in der moliseslawischen Grammatik vgl. BREU (1998). In BREU/PICCOLI (2000), fertiggestellt im Dezember 1999, findet sich im Anhang zum Wörterbuch, das als Basis für eine erste Normierung gesehen werden kann, eine phonologische Beschreibung und eine Kurzgrammatik des Dialekts von Acquaviva. Auch für den Dialekt von Montemitro besteht jetzt ein Wörterbuch (PICCOLI/SAMMARTINO 2000) und eine Grammatik (Sammartino 2004). Die klassische Beschreibung der Situation und der Sprache der Slaven im Molise zu Anfang des 20. Jahrhunderts stammt von REŠETAR (1911/1997).

Angesichts seiner eigenständigen Entwicklung, die jahrhundertelang ohne Verbindung mit dem Kroatischen stattfand, kann das Moliseslawische als autonomes Sprachsystem verstanden werden. Hierdurch wird auch dem Faktum Rechnung getragen, dass diese Minderheitensprache in vielerlei Hinsicht den dominanten romanischen Idiomen viel nähersteht als seinen „genetischen“ Verwandten, etwa dem Standardkroatischen.


Sprachbeispiel: Das moliseslawische Vaterunser in der Varietät von Acquaviva Collecroce


Moliseslawisch Zum Vergleich: Kroatisch Deutsch
Tata naš, ka jesi na nebu, Oče naš, koji jesi na nebesima, Vater unser (der Du bist) im Himmel,
da bi bija sfe sfeti jima tvoj, sveti se Ime Tvoje, geheiligt werde Dein Name,
da bi doša tvoj kraljar, dođi kraljevstvo Tvoje, Dein Reich komme,
da bi sa čila ono ka hoš ti, budi volja Tvoja, Dein Wille geschehe,
na nebu a zgora sfita. kako na Nebu, tako i na Zemlji. wie im Himmel, so auf Erden.
Daj nami naš kruh saki dan Kruh naš svagdanji daj nam danas, Unser tägliches Brot gib uns heute
a jam nami naše duge, i otpusti nam duge naše, und vergib uns unsere Schuld,
kaka mi hi jamivama drugimi. kako i mi otpuštamo dužnicima našim. wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.
A nomo nasa čit past na tendacijunu, i ne uvedi nas u napast, Und führe uns nicht in Versuchung,
ma zdriš nasa do zlo. nego izbavi nas od zla. sondern erlöse uns von dem Bösen.

Bibliographie





Einzelnachweise



    На других языках


    - [de] Moliseslawische Sprache

    [en] Slavomolisano dialect

    Slavomolisano, also known as Molise Slavic or Molise Croatian, is a variety of Shtokavian Serbo-Croatian spoken by Italian Croats in the province of Campobasso, in the Molise Region of southern Italy, in the villages of Montemitro (Mundimitar), Acquaviva Collecroce (Živavoda Kruč) and San Felice del Molise (Štifilić). There are fewer than 1,000 active speakers, and fewer than 2,000 passive speakers.[1]

    [it] Lingua croata molisana

    La lingua croata molisana[2] (denominazione propria naš jezik, "la nostra lingua"; forma avverbiale na-našu o na-našo, "al modo nostro"; altre denominazioni: slavisano, slavo molisano, lo slavo; in croato moliškohrvatski) è una lingua slava meridionale parlata in Italia, nella regione del Molise.

    [ru] Молизско-славянский язык

    Молизско-славянский язык — славянский литературный микроязык на основе одного из хорватских штокавских диалектов икавского типа (с некоторыми элементами чакавских говоров), распространённый в итальянском языковом ареале: в области Молизе, в Италии, куда носители переселились из Нарентской долины в Далмации в XV—XVI веках, спасаясь от турецкого нашествия. Носители молизско-славянского языка (молизские хорваты) в настоящее время проживают в трёх селениях Молизе: Аквавива-Коллекроче (исконное название: Круча), Монтемитро и Сан-Феличе-дель-Молизе (ранее именовалось Сан-Феличе-Славо). Среди жителей славянских селений встречается фамилия Мирко — это потомки князя Мирко (упоминаемого в фольклоре Нарентской долины) — организатора переселения.



    Текст в блоке "Читать" взят с сайта "Википедия" и доступен по лицензии Creative Commons Attribution-ShareAlike; в отдельных случаях могут действовать дополнительные условия.

    Другой контент может иметь иную лицензию. Перед использованием материалов сайта WikiSort.org внимательно изучите правила лицензирования конкретных элементов наполнения сайта.

    2019-2024
    WikiSort.org - проект по пересортировке и дополнению контента Википедии